Wunderbar schwerelos zeigt sich die Welt

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Friedhelm Arning
Andreas Simmen (Hg.)
Deutsch
2018
1. Auflage
343
21 cm
14 cm
2,5 cm
600 g
978-3-85869-802-5

Für helvetophile wanderfreudige Leseratten oder lesefreudige Wanderratten ist auf eine Neuerscheinung aufmerksam zu machen, die in einer Anthologie unter dem Titel „Wunderbar schwerelos zeigt sich die Welt“ 22 literarische Wanderungen in der Schweiz vereint. Der Titel ist ein Zitat aus einem Wanderbericht, den Max Frisch 1935 für die „Neue Züricher Zeitung“ geschrieben hat.

Der Rotpunktverlag hat vor etlichen Jahren mit der Reihe „Literarische Wanderungen“ begonnen. Seit 2000 sind so neun Literaturwanderbücher erschienen, die sich jeweils einem Kanton oder einer Region der Schweiz widmen, dem Tessin, Graubünden, dem Bernbiet, dem Wallis, dem Oberengadin der Zentralschweiz und der Ostschweiz sowie ein weiterer Band, der nicht in der Schweiz sondern in Tirol angesiedelt ist. Da mittlerweile bereits einige Bände vergriffen sind, ist nun in der hier vorliegenden Anthologie eine Auswahl von Texten aus sieben der in dieser Reihe erschienen Bücher zusammengestellt worden. Der Herausgeber betont, dass es sich dabei nicht um ein „best of…“handelt sondern dass er die Auswahl nach seinen persönlichen Vorlieben und in dem Bemühen getroffen hat, einen möglichst vielfältigen und perspektivreichen Einblick in unterschiedlichste literarische Landschaften der Schweiz zu ermöglichen.

Dieses gelingt nach meinem Dafürhalten sehr gut. Die literarischen Wanderungen bewegen sich auf den Spuren von 33 Schriftstellern und Schriftstellerinnen aus dem 19. und 20. Jhdt. die unterschiedlicher kaum sein könnten. Da begegnen wir international bekannten Namen wie Friedrich Nietzsche, Karl Kraus, Max Frisch,  Hermann Hesse, Rainer Maria Rilke, Mark Twain, Alphonse Daudet, Alexandre Dumas und Friedrich Schiller, um nur einige zu nennen, ebenso wie den weniger bekannten, unmittelbar aus der jeweiligen Region stammenden Autorinnen und Autoren wie z.B. Silvia Andrea, Reto Hänny, Gertrud Leutenegger, Fabio Pusterla oder Leo Tuor, der, wie sein Protagonist Giacumbert Nau, selbst als Hirte auf der Greina unterwegs war.

So vielfältig wie die Schriftsteller und Schriftstellerinnen sind auch die Landschaften, in denen sich ihre Bücher bewegen und die sie mit ihren Figuren bevölkern. Wir wandern literarisch im Appenzeller Land, auf der Lenzerheide und der Greina, im Oberengadin und im Bergell, im Valle di Muggio, im Tal der Rhone und der Dixence. Wir sind im Berner Oberland unterwegs, am Monte Ceneri, auf dem Rigi und am Gotthard und natürlich auch in der hohlen Gasse von Küssnacht. Nicht zu vergessen, dass damit auch vier Sprachräume verbunden sind, der deutsche, der französische, der italienische und der rätoromanische, sicher mit ein Grund, warum literarische Wanderungen gerade in der Schweiz besonders reizvoll sind.

Zahlreiche schwarz-weiß Fotos von Personen und Landschaften lockern nicht nur den Text auf sondern liefern zusätzlich interessante Perspektiven auf das Dargestellte.

Es ist nun keineswegs so. dass in den 22 Kapiteln dieses Sammelbandes, die jeweils einer literarischen Wanderung gewidmet sind, einfach aus den Werken der div. Schriftsteller und Schriftstellerinnen zusammenzitiert wären. Es wird vielmehr Literatur kunstvoll ineinander geschachtelt. Ein Autor wandert einen Weg, der sich aus einem oder mehreren dieser Werke herauslesen lässt, und beschreibt dann seinerseits, wiederum literarisch ambitioniert, diese seine Wanderung. In diese Beschreibung werden dann Zitate aus den Werken der ausgewählten Schriftsteller und Schriftstellerinnen eingestreut. Darüber hinaus enthalten die Beschreibungen interessante Darstellungen aus dem „Drumherum“, wie zum Beispiel zur Befindlichkeit der Verfasser und Verfasserinnen, als sie seinerzeit dort unterwegs waren, oder zur Entstehung ihres Werkes; zur Region, wie sie damals aussah und sich bis heute verändert hat; oder auch welche Spuren die Literatur hinterlassen hat. So erfährt man etwa, dass Friedrich Schiller niemals in der Urschweiz war, sondern für seinen Wilhelm Tell so akribisch in Landkarten und Landschaftsbeschreibungen recherchiert hat, dass man das Werk heute noch als recht exakten Wanderführer benutzen könnte. Oder dass, obwohl mit Sherlock Holmes lediglich eine fiktive Figur in den Reichenbachfällen ums Leben kam, der benachbarte Ort Meiringen zum Mekka der Sherlockians aus aller Welt geworden ist, auf dessen Hauptstraße sie bis heute mit geschwungener Pfeife, Jagdmütze und Cape promenieren.

Natürlich kommen auch die Leser und Leserinnen, die sich, angeregt durch die diversen Kapitel, selbst auf den Weg machen wollen, nicht zu kurz. Jedem dieser Kapitel ist ein LiteraTour-Info angefügt, das Ausgangs- und Endpunkt der Wanderung, ihren Schwierigkeitsgrad, die Gehzeit und die zu bewältigende Höhendifferenz sowie Hinweise auf die beste Jahreszeit, geeignetes Kartenmaterial und zur An-und Abreise enthält. Es gibt darüber hinaus eine detaillierte Wegbeschreibung mit Varianten und Möglichkeiten zur Einkehr und für die Übernachtung. Adressen, wo geeignete Informationen zu bekommen sind, und Tipps für Interessantes am Weg runden dieses LiteraTour-Info ab.

Die meisten der hier beschriebenen literarischen Wanderungen sind Tageswanderungen, es gibt allerdings auch einige Zwei- und Dreitagewanderungen. Ich kann mir allerdings sehr gut vorstellen, dass etliche Wanderungen auch Ausgangspunkt oder Teiletappe einer größeren Weitwanderung sein könnten.

Ich habe dieses Buch auf jeden Fall mit Gewinn gelesen, ist mir doch noch einmal sehr deutlich geworden, dass die Literatur und das Wandern im Verhältnis zur Landschaft eine tiefe Gemeinsamkeit haben: Beide erfinden die Landschaften jeweils neu und lassen sie ganz unterschiedlich wahrnehmen.

Für helvetophile wanderfreudige Leseratten oder lesefreudige Wanderratten ist auf eine Neuerscheinung aufmerksam zu machen, die in einer Anthologie unter dem Titel „Wunderbar schwerelos zeigt sich die Welt“ 22 literarische Wanderungen in der Schweiz vereint.