Auf der Suche nach dem E4

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Unterwegs im Retezat - einem der ältesten Naturschutzgebiete Rumäniens

Warum denn wandern in Rumänien? Ganz einfach: Weil es auf dem Weg liegt. Seit 2004 laufen wir, Hans, Carsten und ich den E4, nutzen möglichst unseren dreiwöchigen Jahresurlaub dafür. Gestartet sind wir auf Kreta. Nach mehreren Urlauben in Griechenland kam die Bulgarientour, die wir zwar schon kannten, aber unbedingt noch mal laufen wollten. Und nun folgte Rumänien. So einfach war das. Aber das war es dann auch schon mit dem „Einfach“.

Eigentlich gibt das Internet ja so ziemlich alles her, was das Herz begehrt. Unseres begehrte Informationen zum Wandern in Rumänien. Da konnte man lange suchen. Immer wieder stießen wir bei unseren Recherchen auf die Seiten Karpaten-Willi und Rennkukuck. Hier gab´s viele Infos, vor allem zu den reichlich in Rumänien vorkommenden Bären. Es soll ja längst Bärentourismus auf dem Balkan geben. Unser Ziel war, möglichst keinem zu begegnen. Dieses Ziel haben wir erreicht – lediglich einmal haben wir heftige Spuren entdeckt, die zeigten, dass wenigstens ein Bär ziemlich in der Nähe sein muss. Wir sangen lauthals – wie in aller einschlägigen Literatur empfohlen. Mit Erfolg.

Doch eine Route des E4 fanden wir dort nicht. Den vagen Verlauf, so wie er zumindest einmal geplant ist, kannten wir ja durch verschiedene Publikationen der Europäischen Wandervereinigung: von Oradea durch Siebenbürgen und Transsylvanien zur Donau nach Vidin.

Wenn wir dazu entsprechendes Kartenmaterial gehabt hätten, wäre der Rest ja ein Klacks gewesen. Aber so einfach macht ein Weitwanderer im Land Draculas keinen Urlaub. Wanderkarten gibt es, aber nur für ausgewählte Bereiche. Einige wenige können über einen ungarischen Verlag (siehe Bericht von Günther Krämer, ab Seite 4) bestellt werden, mit etwas Glück auch ein paar vor Ort in einer der spärlich vorhandenen Touristinformationen. In Buchhandlungen oder auf den Hütten selbst waren wir nicht erfolgreich.

So waren unsere Vorbereitungen recht lückenhaft. Der Urlaub versprach also spannend zu werden.

Und das war er! Bewusst hatten wir für die Anreise den Zug gewählt – wohl auch etwas in Erinnerung schwelgend an die Zeit, als Zugfahren noch der Beginn jedes Urlaubs war. Mit dem Liegewagen ging es von Berlin und Dresden über Budapest nach Sighisoara, wo wir zunächst zwei Tage verbrachten, um Vorbereitungen für unsere Hochzeit, die wir nach unserer Wanderung hier feiern wollen, zu treffen*.

Rumänien ist ein Land, das sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt hat – zumindest in den Städten, die wir gesehen haben. Zwar ist noch viel zu renovieren und sanieren, aber sehr, sehr viel ist bereits passiert.

So in Sighisoara, einer mittelalterlichen Stadt in der Nähe von Sibiu, der europäischen Kulturhauptstadt 2008.

Sighisoara (Schäßburg) gehört seit 1999 zum UNESCO Weltkulturerbe. Wer wissen und erleben möchte, was Mittelalter heißt, ist hier richtig. Allein die Unterkünfte, von einfach bis nobel, haben mittelalterliches Flair: ob in einem der Zunfttürme (wir wohnten im „Schneiderturm“, http://www.schneiderturm.de) oder den zahlreichen Hotels und Pensionen.

Kultur gibt es in Rumänien an jeder „Ecke“: Schlösser, Burgen, Kirchenburgen … . Aber vor allem Landschaft!

Wir waren vorwiegend im Retezat unterwegs, einem der ältesten Naturschutzgebiete des Landes. Schon 1935 wurde die Gründung dieses Nationalparks durchgesetzt., seit 1980 ist das Retezat Biosphärenreservat der UNESCO.

Im Kernbereich des Retezat-Gebirges, einem westlichen Ausläufer der Karpaten, gibt es fast keine Versorgungsstruktur, nur wenige bewirtschaftete Hütten. Hier gilt die Selbstverpflegung. Die Touren hatten wir – soweit es ging - nach unserer vagen Route herausgesucht.

Wir – 2009 eine Truppe von sechs Wanderern - starten ausgestattet mit einer Karte (Muntii Retezat 1: 50 000, Verlag Dimap) an der Cabana Gura Zlata, die wir per Zug und Taxi erreichen. Die Bahnfahrt dahin ist spannend. Laut Auskunft in Sighisoara gibt es weder die Strecke noch den Bahnhof „Subcetate“. Wir erreichen ihn trotzdem. Ein „Taxibus“ erwartet dort die wenigen Aussteigenden und bringt sie ins nahe gelegene Hateg. Wir chartern ihn, um etwas ins Gebirge zu kommen. Auf nahezu halber Strecke wendet der Fahrer: Nicht sein Gebiet und Polizeikontrolle. Also zurück und auf Schleichwegen dem Ziel entgegen. Der Fahrer meint es gut und lässt uns erst direkt an der Hütte raus. Hier in der Gura Zlata machen rumänische Familien wohl gern Urlaub, unternehmen Tagestouren. Weitwanderer lassen die Betreiber staunen. „Und Sie kommen morgen Abend nicht zurück?“

Wir lassen es uns gut gehen am ersten Abend und brechen im nächsten Morgengrauen wohlgemut auf. Unser Ziel: die Cabana Rotunda. Zwei Wegmöglichkeiten gibt es: die Straße gen Stausee Lacu Gura Apei oder durchs Gebirge.

Unsere Truppe trennt sich. Fazit am Abend: Der schweißtreibende, lange Aufstieg von rund 800 auf 2100 Meter lohnt nicht nur, sondern ist für Körper und Geist die bessere Variante. Der Weg ist wild romantisch: alte bemooste Baumstämme als Brücken, Bergwiesen und weite Blicke ins Land.

Der Forstweg zum Stausee erweist sich entgegen der Darstellung in der Wanderkarte als durchweg asphaltierte Straße und damit trotz weitaus weniger Höhenmeter als ebenso anstrengend.

Zur Lunca Rotunda müssen wir dann wieder hinab. Die Rotunda ist für eine Hütte ziemlich nobel: noch mit allen Annehmlichkeiten der Zivilisation.

Hinweis: Spätestens ab hier ist Funkstille – zumindest im Handynetz. Wer dennoch telefonieren will, muss zurück bis zum Stausee (5 km) und hat bei richtiger Windrichtung und einigen sportlichen Verrenkungen vielleicht Glück.

Von dort wandern wir weiter durchs Tal des Lapusnicu Mare. Laut Wanderkarte nur ein Forstweg, für manche Rumänen fast eine Schnellstraße – zum Glück nur für sehr wenige. Das Tal ist herrlich und wir wandern auf die Berge zu und versuchen zu erraten, welcher Pass wohl der unsrige wird.

Über den Pass Saua Plaiul Mic (1879 m) erreichen wir die Cabana Buta, eine Hütte, wie aus dem Bilderbuch: einsam, urig und traumhaft gelegen. Die Wasch-gelegenheit hier – mit freier Sicht für alle: ein Gebirgsbach durch einen Wassertrog geleitet gleich neben den Tischen, dazu zwei sehr große und diverse kleine Hunde.

Hier hat auch die rumänische Bergwacht eine Station. Nach einem Gespräch mit deren Vertretern vor Ort ändern wir unsere Tour und folgen von der Cabana Buta anders als geplant nicht dem Weg direkt zum Campu lui Neag, sondern nehmen die Route über den Pass Saura Scotrota (1920 m). Sie fordert von uns etwas Trittsicherheit, lässt sich aber mit normalen Wandererfahrungen gut meistern, auch wenn es teilweise recht alpin ist (Wanderstöcke erleichtern die Gratwanderung enorm). Für kurze „Lufthol-Strecken“ belohnt er mit atemberaubenden Panoramen bar jeglicher Zivilisation. Höchster Punkt dieser Tour: der Gipfel Piule (2081 m).

Bis hierher ist der Weg wunderbar markiert, danach haben wir nur noch den Kompass und die Ahnung einer Schäferei am Wege. Hier passiert nun unser größtes Abenteuer: ein Abstieg jenseits aller Wege durch einen dicht bewaldeten Abhang. Ein paar Abschürfungen, ein paar gebrüllte „Sch…“ oder ähnliches begleiten den rasanten Abstieg gegen die hereinbrechende Nacht. Immer wieder gilt der Spruch „Die Letzten werden die Ersten sein“, denn immer wieder brüllt der jeweilige Führer: „Zurück“, weil eine Schlucht ein Fortkommen unmöglich macht. Trotzdem kommen wir beim letzten Tageslicht nach mehreren Stunden, in denen uns allen angst und bange war – wie wir uns später eingestehen, auf dem erhofften Forstweg an und erreichen „mit knapper Not“ eine treffliche Unterkunft: die Cheile Butii, die Zivilisation hat uns vorerst wieder.

Ab hier geht es weiter für uns, mal zu Fuß, mal mit der Bahn oder dem Bus über Lupeni und Petrosani durch das Muntii Surean. Dieser Gebirgszug ist ebenfalls wenig besiedelt, verfügt auch nur über sehr wenige Hütten. Was das Wandern hier ebenfalls nicht gerade leichter machte, war das Straßenbauvorhaben dort: Riesige Laster sind für eine Straße quer durch dieses Gebiet unterwegs. Die Straße ist schon zu großen Teilen fertig.

In Sebes endet unsere eigentliche Wandertour. Von dort machen wir noch einen dreitägigen Abstecher ins Apuseni-Gebirge. Das Apuseni hat einen ganz anderen Charakter als das alpine Retezat. Ganz offensichtlich gehört es auch zu den von den Einheimischen bevorzugten Urlaubszielen. So haben wir ohne Voranmeldung Schwierigkeiten beim Finden von Übernachtungen, dafür gibt es hier reichlich Touristinfos und Wanderkarten!

Unser Fazit dieses Urlaubs: Ohne Zelt sollte hier kein Weitwanderer losziehen – losziehen in jedem Fall. Wir sind bereits im August 2010 wieder da – dann planen wir auch ein paar zusätzliche Tage für Land und Kultur ein.

* P.S.: Das mit dem Heiraten hat auch geklappt

Fotos: Katharina Wegelt und Carsten Dütsch

 

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