Durch das Dahner Felsenland

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Ich höre schon die kritischen Fragen:

Warum musst du denn jetzt auch andauernd noch in die Pfalz fahren? - Weil sie eben da ist. Weil man dort so toll wandern und essen kann. Und überhaupt …

Und: Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah! Ja, ja, um kluge Sprüche und Zitate bist du nie verlegen. - Werden die dadurch falsch?

Aber in die Pfalz kannst du auch noch mit 80! - So? Dann zeig‘ mir doch mal bitte die 80-Jährigen, die diese Dreitagestour rund um Dahn in dieser Weise gehen können! Viele wirst du nicht finden.

Du bist einfach hoffnungslos altmodisch. Kein bisschen im Trend. - Das stimmt allerdings.

Für den Pfälzerwald, immerhin das größte zusammenhängende deutsche Waldgebiet, gibt es eigentlich keine „beste Jahreszeit“, aber für den Saisonausklang bietet er sich besonders an. So fuhren wir am 19. Oktober 2007 zum Ausgangspunkt unserer Dreitagestour rund um Dahn nach Bruchweiler-Bärenbach. 10 Uhr vormittags, bedeckter Himmel, Außentemperatur 2 Grad plus. Der Mensch ist ein Wesen, das sehr viel vergisst, aber wann hat es einen solchen Kälteeinbruch im Oktober zuletzt gegeben? Und die Natur schien die frühe Kälte bereits im Juli zu ahnen und stellte sich durch besondere Eile darauf ein: Im Juli blühten auf den Osttiroler Alpen Herbstblumen, um den 10. Juli war trotz des lausigen Frühsommers schon der Almrausch verglüht, am 7. August sah ich in den Vogesen, unweit der Weinstraße, verfärbte Wälder und die Schwalben waren bereits aus Mannheim abgezogen. Gespannt hatte ich seitdem auf den Kälteeinbruch gewartet, der dann auch kam.

Freilich störte er uns zunächst nicht, denn beim Gehen wurde uns schnell warm und die herrliche Wasgau-Landschaft sorgte allemal für genügend Ablenkung. Kurz durch bewohntes Gebiet, dann auf einem Sträßchen durch ein herrliches, stilles Wiesental und schließlich auf abwechslungsreichem Weg ging es hinauf zum ersten Zwischenziel, dem Spitzfelsen. Der heißt auch aus ungeklärten Gründen „Napoleonsfels“; jedenfalls weiß von etwaigen Besteigungsversuchen des Namenspatrons nicht einmal die Gerüchteküche.

Aber ein herrlicher Rastplatz ist die kleine Waldkuppe mit dem schlanken Sandsteinturm allemal. Ebenso die Rasthütte am Wegtreffpunkt Am Hundel. Und erst recht der Große Eyberg, mit 513 m Höhe bereits einer der Großen im hügeligen Dahner Felsenland und zudem mit einem Aussichtsturm ausgestattet, einem schlanken Eisengerüst, dem - wie so oft in der Pfalz - die Bäume der Umgebung allmählich über den Kopf wachsen. Immerhin, man sieht noch so einiges: Wälder, Berge, Wiesentäler, Dörfer. Aussichtspunkte im geschlossenen Waldgebiet sind eh selten. Also wollen wir nicht meckern.

Im unmittelbaren Einzugsbereich von Dahn werden die Probleme einer solchen Tour deutlich. Die liegen in der Orientierung. Das sollte man eigentlich nicht glauben, schließlich sind wir hier doch in Deutschland und nicht sonst wo! Aber die Kurverwaltung Dahn hat einfach des Guten zuviel getan. Mehr als 60 mit Zahlen markierte Rundwanderwege, wo es maximal ein Drittel auch getan hätte! Fast zwangsläufig sind die Zahlen oft lückenhaft angebracht, Wegweiser zuweilen sporadisch, vor allem, wenn sie nicht zu einem gastronomischen Stützpunkt leiten. Zahllose Wege im unübersichtlichen, hügeligen Waldgelände sorgen für zusätzliche Verwirrung, selbst die vorzügliche topografische Karte des Landesvermessungsamts Rheinland-Pfalz im Maßstab 1:25.000 hilft hier nur noch bedingt. Ich bin weiß Gott kein Wander-Frischling, bin mir aber bei der Wegsuche um Dahn schon wie ein Idiot vorgekommen.

Bei dieser Tour passierte das allerdings nicht. Denn wir benutzten zur Dahner Hütte ein Vorzeige-Projekt der Dahner, den „Dahner Felsenpfad“. Der führt auf einer Länge von gut 12 km in stetem Bergauf und Bergab an mehr als einem Dutzend bizarrer Sandsteintürme vorbei und bietet sich sogar, da man in der Dahner Hütte am Wochenende übernachten kann, für Familien mit kleineren Kindern als kindgerechte Zweitagestour an. Hier ist die Markierung eher überreichlich, alle 20 oder 30 Meter findet man ein Täfelchen.

Wir folgten dem Felsenpfad nur ein Stück weit, wobei er, tatsächlich als Pfad, an den eher kleinen Massiven des „Ungeheuerfelsen“ vorbei führt, zuletzt durch einen ganz engen Durchschlupf, wo man schon den Bauch einziehen muss und ein großer Rucksack etwas hinderlich ist. Ein herrliches Wegstück! Weniger spektakulär erreicht man eine halbe Stunde später die auch wochentags bewirtschaftete Dahner Hütte des Pfälzerwaldvereins (PWV), wo man, wie in PWV-Hütten üblich, die Wahl zwischen Deftigem (Bratwürste, Leberknödel, Saumagen, Weißem Käse) und einem reichhaltigen Kuchenangebot hat. Schon meldete sich wieder mein unsichtbarer Kritiker: Du wanderst nur in der Pfalz, um dir bei jeder Gelegenheit den Bauch mit Pfälzer Kuchen „wie von Oma gebacken“ vollzuschlagen. Richtig. Sonst noch was?

Auch der Weiterweg, anfangs wieder etwas unübersichtlich bezeichnet, hielt noch Überraschungen parat. Zunächst kamen wir auf einem unmarkierten, aber beschilderten Abstecher an weiteren Felsungetümen vorbei, dem „Hexentisch“ und dem „Satansbrocken“, dann gelangten wir zur imposanten Burgruine Neudahn, die trotz ihrer bescheidenen Höhe einen herrlichen Ausblick bietet. Der Ausklang der Etappe bestand dann in einer weniger spektakulären Talwanderung, anfangs auf dem Radweg Hinterweidenthal - Weißenburg (Wissembourg), nach Hinterweidenthal, wo auch noch niemand verhungert oder verdurstet sein dürfte.

Am zweiten Wandertag (strahlender Sonnenschein, aber nur wenige Grad über Null ( brrr...)) war natürlich der kleine Abstecher zum „Teufelstisch“, dem berühmtesten Felsen der Pfalz, obligatorisch. Anschließend stand nur eine Halbtagesetappe auf dem Programm.

Aber was für eine! Die 10,5 Wanderkilometer von Hinterweidenthal zum PWV-Wanderheim „Dicke Eiche“ gehören zum Schönsten, das die Pfalz zu bieten hat. Zunächst noch in Hörweite der stark befahrenen Bundesstraße 10 (Landau - Pirmasens) bergauf, allerdings auf herrlichem Hangpfad, auf der Südseite des Bergrückens rasch bergab, vorbei an einer gefassten Quelle, in ein abgelegenes Wald- und Wiesental, dieses am fast verlandeten „Schwarzen Mühlwoog“ vorbei einwärts bis zum früher als Wiese genutzten, jetzt fast urwaldartigen Talschluss „Am Stockwoog“ und kurz steiler Anstieg hinauf zur Unterstandshütte am Wegtreffpunkt „Vier Buchen“, bis hierher in völliger Einsamkeit.

Die ist an den „Vier Buchen“ an schönen Wochenenden allerdings vorbei, ohne dass von Massenbetrieb die Rede sein könnte. Freilich bietet der folgende Höhenweg noch einmal eine Steigerung. Vorbei an einigen herrlichen Aussichtspunkten und oft auf schmalen Hangpfaden gelangt man zuerst zur Wallfahrtskapelle „Winterkirchel“, deren frei zugängliche Glocke speziell auf Kinder und Narren einen unwiderstehlichen Reiz ausübt, weiter zum leider durch Vandalismus zerstörten Naturdenkmal „Dicke Eiche“ und wenige Minuten später zum gleichnamigen großen, stark frequentierten Wanderheim.

Und weil der Tag ja noch einige Sonnenstunden zu bieten hatte, bummelten wir noch hinüber zum „Hühnerstein“. Das ist ein vielleicht 15 m hoher Felsturm auf einer kleinen Anhöhe, etwa 450 m über dem Meer und über eine Leiter mit 39 Sprossen zu besteigen - aber was für ein Aussichtspunkt! Zudem sind in letzter Zeit dort viele Bäume gefällt worden, sodass die Sicht jetzt völlig frei ist. Man überblickt große Teile des östlichen Wasgaus mit den Burgen Trifels und Lindelbrunn und erkennt bei klarem Wetter - das wir hatten - sogar den Nordschwarzwald. Selten habe ich in der Pfalz eine so eindrucksvolle Gipfelrast erlebt wie am 20. Oktober auf dieser kleinen Felskanzel.

Im Wanderheim „Dicke Eiche“ ging es an diesem Wochenende lustig zu. Schuld daran war ein Fußballverein aus der Umgebung, der seine sportliche Zukunft sichtlich hinter sich, dafür aber umso mehr vor sich hatte, vor sich auf dem Tisch, versteht sich. Andauernd gaben die fröhlichen Zecher dem nicht so ganz freiwilligen Publikum Lieder zum Besten, in denen die Wanderseligkeit aus Urgroßvaters Zeiten hochgehalten wurde: „o Heiiiiimatlaaaaaand…“. Mag sein, dass das eine Generationsfrage ist, aber mich macht verlogenes Liedgut geradezu aggressiv; meine jugendlichen Mitwanderer sahen das Ganze pragmatischer und machten sich darüber lustig. Am Abend torkelte einer dieser Sportsfreunde an unseren Tisch und erkannte erst im letzten Augenblick, dass wir nicht zu seinem Verein gehörten.

So etwas kann natürlich auf Hütten immer passieren, zumal in der Pfalz. Aber das Wanderheim „Dicke Eiche“ ist so geräumig, dass wir den Krachmachern ganz gut aus dem Weg gehen konnten. Wir machten einen kleinen Nebenraum ausfindig und hatten prompt unsere Ruhe. Auch unsere Nachtruhe verlief ungestört. Das Haus ist im Übrigen durchweg gepflegt und wirkt insgesamt sehr einladend (das gilt im selben Maß oder noch mehr für die bereits erwähnte Dahner Hütte). Und eine schlecht bewirtschaftete PWV-Hütte habe ich ohnedies noch nie erlebt.

Der dritte Tag brachte die befürchtete Wetterverschlechterung; vorläufig blieb es allerdings noch trocken. Wir folgten dem Höhenweg weiter nach Süden, an einer Stelle unübersichtlich bezeichnet (dort muss man sich links durch ein kurzes hohlwegartiges Stück halten und findet bald wieder die Farbkleckse), aber wieder auf herrlichen Wegen; einmal ging es direkt unterhalb eines felsigen Kamms entlang. Schließlich schlugen wir uns in den Ort Busenberg durch, um von dort zum „Drachenfels“ zu gelangen, ein Wegstück, das schon allerlei Witzeleien provoziert hat („weiblicher Lebenslauf“). Ein kleines, idyllisches Wiesental, ein kurzer Waldanstieg und man erreicht - nun, was wohl? Eine PWV-Hütte mit der obligatorischen deftigen Pfälzer Hausmannskost.

Hat der Pfälzerwaldverein ein Nachwuchsproblem? Diese Frage stellte sich mir spätestens hier. In allen drei PWV-Hütten, die wir berührten, lag das Alter der Vereinsmitglieder, die am Wochenende für die Bewirtschaftung sorgten, jenseits der Fünfzig, wenn nicht der Sechzig. Und mir fiel auf, dass die PWV-Markierungen zwar im Wesentlichen noch zuverlässig, aber nicht mehr so lückenlos wie vor ein paar Jahrzehnten sind. In den Vogesen sind sie beispielsweise insgesamt besser. Wie mag es im Pfälzerwald in 20 oder 30 Jahren aussehen?

Aber auch ohne Markierung kommt man problemlos von der Drachenfelshütte zur gleichnamigen Ruine hinauf. Dieser nur wenige Minuten erfordernde Abstecher ist ein absolutes Muss. Denn die Felsruine ist von einer Wildheit, wie man sie aus den benachbarten Nordvogesen kennt. Sie liegt höchst exponiert auf einer Bergkuppe und bietet ein umfassendes 360°-Panorama. Zudem ist der Aufstieg, immer wieder über gesicherte Galerien, schon ein kleines Abenteuer und, nebenbei bemerkt, nichts für Leute mit sehr starker Höhenangst und auch nicht unbedingt bei Vereisung zu empfehlen.

Der Rest war eine ordentlich markierte, zügige Wanderung zurück zum Ausgangspunkt; dass der Regen uns jetzt doch noch erwischte und das abschließende Stück, ein Teil des von Deutschland nach Frankreich führenden „Zabern-Wegs“ oder „Sentier Tres Tabernae“, nur mit sehr verwaschenen roten Rauten markiert war, störte uns auch nicht mehr. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Regen und Zeitknappheit uns daran hinderten, noch dem „Jüngstberg“, den wir teilweise umwanderten, unsere Aufwartung zu machen. Aber man braucht ja einen Grund wiederzukommen! Wobei man den im Pfälzerwald ebenso sicher findet wie Leberknödel und Saumagen.

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