Die Niederlande - nahe am Wasser gebaut

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In den Hütten in den Alpen und auf vielen Wegen in den Mittelgebirgen kann man wandernde Niederländer antreffen. Wenn eine Nation so aktiv ist, dürften auch im eigenen Land gute Wanderbedingungen herrschen. Von einem dichten Netz in den Niederlanden und speziell vom Pieterspad hatte ich schon gehört. In den Herbstferien 2003 wollten meine Frau und ich eine Woche wandern. Zeit, eine Route auszuwählen und Etappen vorzubereiten, waren diesmal nicht vorhanden. Das war ein Anlaß, das Medium Internet auf seine Tauglichkeit zu prüfen: Auch da haben die Niederländer unter www.wandelnet.nl einen vorbildlichen und einfach zu handhabenden Auftritt produziert. Eine Karte zeigt das Netz. In einer Sonderseite unter www.reisboekhandel.nl sind die spezialisierten Kartenbuchhandlungen aufgeführt. Mit diesen Startbedingungen und am Ende einer sechstägigen Tour können wir sagen, daß die Niederlande ein reizvolles Wanderland sind und es interessierten Wanderern leicht machen, ihr Land aus der Perspektive des Fußgängers kennenzulernen.

Wir entschieden uns für die Fachbuchhandlung „De Wandelwinkel“ in Deventer. Die Stadt mit ihrem interessanten historischem Zentrum kannten wir von früheren Ausflügen. Damit war ein Start dort vorgegeben oder mindestens im Wortsinn sehr naheliegend. Obwohl Montag vormittag eigentlich Ruhetag war, wurden wir von dem Buchhändler, der zufällig im Geschäft war, liebenswürdig beraten. Wir kauften die Wegeführer zum „Hanzestedenpad“, einer Verbindung zwischen den Hansestädten Doesburg, Zutphen, Deventer, Zwolle und Kampen und den Führer zum „Zuiderzeepad“, einen etwa 400 km langen Rundweg um den Zuidersee, das frühere Ijsselmeer; dazu erwarben wir noch eine Übersichtskarte 1:200.000. Es zeigte sich sofort, daß eine Orientierung und Wegeplanung mit diesen Führern sehr einfach ist. Ihr klarer Aufbau und die guten Übersichts- und Detailkarten erlauben eine schnelle Wanderplanung. Sehr nützlich sind die aufgelisteten Unterkünfte und die Markierung der Hotels und Bed and Braekfast-Anbieter in den Ausschnittkarten.

Wir entschieden uns, zunächst entlang der Ijssel bis Kampen zu wandern. In einem Wohngebiet von Deventer, nahe am Fluß und schon etwas außerhalb des Zentrums gelegen, stellten wir unser Auto mit relativ ruhigen Gefühl zwischen andere parkende Fahrzeuge und zogen los. An der Uferpromenade fanden wir in dichter Folge die gelb-rote Wegemarkierung. Bald wurden wir über Weiden auf unbefestigten Wege geführt. Der Blick über die Ijssel, eine richtige Wasserstraße, begeisterte uns. Von dem erhöhten Ufer hatten wir einen weiten Blick über Landschaft und beobachteten die Schiffe. Wenn wir wieder etwas landeinwärts geleitet wurden, geschah das wegen ausgewiesener Reservate am Fluß. Dort sind Rast- und Überwinterungsplätze von Zugvögeln, aber auch so sahen wir große Mengen von Enten, Gänsen und Reihern und viele uns unbekannte Arten.

Wir hatten den Eindruck, daß die Wegeplaner interessante Stücke aneinandergereiht hatten. Wir durchquerten mehrmals große Parks und wurden entlang einer Rhododendren-Allee in den Ort Olst geführt. Das im Führer genannte Hotel existierte unter anderen Besitzern nur noch als Restaurant, ein leider nur zu häufiges Phänomen in kleineren Orten. Doch die Bedienung war sehr freundlich und nach einer Reihe von Anrufen hatte sie uns zu einer „Bed and Breakfast-Adresse“ in dem Nachbarort Wijhe verholfen.

Die schönen Eindrücke setzten sich in den nächsten Tagen fort. Die durchquerte Landschaft strömt ein Gefühl von Weite und Strenge aus. Das Geometrisch- Künstliche verstärken die sorgfältig gemähten Böschungen an den Wegen und die wie am Lineal gezogenen und mit großen Maschinen gesäuberten Kanäle. Von ferne erkannten wir Kirchtürme, die früher und möglicherweise auch heute noch „Landmarken“ der Schiffer sind, denen wir uns näherten und die wir später hinter uns ließen. Wir wurden an die Bilder der niederländischen Maler erinnert. Wir hatten helles klares Herbstlicht; die Laubverfärbung setzte kräftige Farbakzente. Einmal lag morgens schon dünnes Eis auf den Kanälen.

Holland ist ein Land der Fahrräder; die Wanderwege sind häufig deckungsgleich mit Trassen der Fernradwege. Aber es gibt immer wieder Abschnitte, die nur den Wanderern vorbehalten sind – und das sind sehr eindrückliche Strecken. Häufig sind es Kronen von unbefestigten Deichen. Die paar Meter Höhe mehr als die Umgebung erlauben weite Ausblicke. Wir denken gern an einen Abschnitt am „Zwarten Meer“ zurück oder entlang eines vielbefahrenen Wasserweges bei Genemuiden. Weil die meisten dieser Flächen eingezäuntes Weideland sind, müssen die Wanderer sehr oft über kleine Böcke in den nächsten Weideabschnitt klettern. Eindrücklich waren auch die nur Wanderern vorbehaltenen Abschnitte von Naturreservaten, z. B. an ehemaligen Tongruben.

Die niederländischen Wege sind vielfach verzweigt und bilden ein dichtes Netz. Man kann gut von einem Weg auf den anderen gehen, wie wir das gemacht haben, als wir ab Kampen auf den Zuiderzeepad überwechselten. In der Örtlichkeit und den Karten in den Führern wird auf solche Verzweigungen hingewiesen. Sehr zu begrüßen ist, daß die Wege bis in die Stadtzentren hineingeführt werden und dort auch oft gut markiert sind. In Deutschland, ob Alpen oder Mittelgebirge, beginnen oder enden Weitwanderwege oft erst in der „Landschaft“. In den Niederlanden erleichtert die häufige Lage von Ortschaften an Wasserwegen bessere Lösungen.

Man braucht die „gidsen“ zum Wandern. Man kann nicht wie z. B. in Frankreich nur mit einer Karte auf Tour gehen. Im zweiten Teil unserer Strecke kamen wir auch auf etwas weniger dicht markierte Abschnitte, besonders in Ortschaften. Da brauchten wir die Kartenausschnitte. So weit ich weiß, sind die Wege nicht in den 1: 100.000-Karten eingetragen. Die Führer sind klar und übersichtlich aufgebaut. Bei den Ausschnitt-Karten sind sehr leicht die Wegeentfernungen der einzelnen Abschnitte abzulesen. Die fremde Sprache bildet keine große Hürde.

Die Führer enthalten viele Detail-Informationen über Dinge am Weg, z. B. zur Sozialgeschichte. So erfuhren wir, daß Kampen im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum für die Herstellung von Zigarren war, und beim Gang durch die Stadt bemerkten wir dann noch einige erhaltene repräsentative Fabrikgebäude. Oder von Genemuiden wurde uns berichtet, daß es das Zentrum der niederländischen Teppichherstellung sei, wobei anfangs die lokalen Binsen zu Matten verarbeitet, später eingeführte Kokosfasern und seit einiger Zeit ist Nylon das Ausgangsmaterial. Später kamen wir in eine Gegend, die ihr eigentümliches Bild dem Wärmebedürfnis der Bürger in den „goldenen Jahrhunderten“ verdankte, denn dort wurde der Torf für die vielen Kamine und Herde von Amsterdam abgebaut. Heute wachsen Binsen auf den vertieften Flächen. Man kann die Situation mit ausgekohlten Braunkohletagebauen vergleichen. Es kann nicht ausbleiben, daß man auf einer Wanderung in dem Nachbarland nicht mit deutscher Geschichte konfrontiert wird. An der Außenwand der sehr repräsentativen Synagoge von Kampen erinnert eine Tafel an die umgebrachten jüdischen Mitbürger. Später wurde ein als Vergeltung von deutschen Soldaten zerstörtes Schleusenwärterhaus erwähnt, als im Krieg die Niederländer im Krieg eingedeichtes Land überfluteten.

Ab Kampen wanderten wir auf dem rot-weiß markierten Zuiderseepad und konnten den oft kolportierten Spruch, daß Gott Land und Meer geschaffen habe, aber die Holländer Holland, gut nachvollziehen. Stundenlang gingen wir über Deiche entlang von Kanälen, auf denen das Wasser höher stand, als das Niveau der Wiesen auf beiden Seiten war. Nahe Vollenhove folgten wir der Uferlinie einer früheren Insel, wo entlang der einseitig bebauten Straße ein altes riedgedecktes Haus dem nächsten folgte. Hinter Vollenhove wechseln wir auf den Nordost-Polder. Dort sind in 50 Jahren die Bäume hochgewachsen; nur das tellerflache Land ließ erahnen, daß wir auf früheren Meeresboden blickten.

Wir Wanderer wurden von Anwohnern oder Entgegenkommenden gegrüßt, wir haben das in keinem anderen Land so intensiv bemerkt. Wir bekamen viele Facetten vom Wohnen der Niederländer mit. Als Deutsche sind wir ja immer fasziniert und irritiert, wie sich holländische Wohnzimmer zur Straße öffnen, wie man, wenn man nicht wegblickt, den Menschen in den Wohn- und Eßzimmern zusehen kann. Wir bewunderten die gepflegten Häuser und insbesondere die schönen Gärten. Weil das Grundwasser so dicht unter der Oberfläche auftritt, sind bei Neubaugebieten oft Kanäle angelegt worden, zu denen die Bewohner der Häuser über Stege und Treppen gelangen können. Beim Hineinwandern entlang eines größeren Kanals in die Stadt Zwolle gingen wir an Dutzenden originell gestalteter Hausboote vorbei.

Eine Überraschung war die kleine barocke Festungsstadt Blokzijl. Um einen großen dreieckigen Hafen, der wie ein großer von Bäumen begrenzter Platz wirkt, stehen die alten Häuser. Am letzten Tag wanderten wir durch die Orte Kalenberg und Ossenzijl, deren Häuser auf beiden Ufern eines Kanals aufgereiht lagen. Auf der Seite, wo wir entlang wanderten, begann hinter den Häusern der Sumpf. Die Bewohner konnten größere Gegenstände nur auf dem Wasserweg hinbringen. Zweimal waren wir unterwegs zu Friedhöfen geleitet worden, die auf kleinen Hügeln lagen, um den Toten Hochwasserschutz zu gewähren. Auf einem wurde auf die Inschrift eines 1858 gestorbenen Schulmeisters hingewiesen: „Wanderer, um die Wahrheit zu sagen, das Weggehen kann nicht so schön sein wie das hier Liegen“. Aber auch für Wanderer ist das Ankommen genau so wichtig wie das Wandern...

Noch kurz die Angaben für die,die unsere Erfahrungen direkt nachvollziehen wollen:

1. Tag (Anreise Gelsenk./ Deventer) Wandern bis Olst 14,0 km (bei durchgehender Wanderung bis Wijhe 19,5 km

2. Tag bis Zwolle 20,5 km

3. Tag Stadtbesichtigung und weiter bis Kampen 20,0 km

4. Tag Stadtbesichtigung und weiter bis Genemuiden 18,4 km

5. Tag über Sint Jansklooster und Vollenhove bis Blokzijl 21,1 km

6. Tag Wanderung bis Spanga mit Bus bis Wolvega und Bahn bis Deventer, Rückfahrt bis Gelsenkirchen. 14,7 km

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