WeitBlick - Einsichten auf dem Weg über die Alpen

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weitblick
WeitBlick - Einsichten auf dem WEeg über die Alpen
Christine Scheel, Gerhard Engel
Deutsch
2018
1. Auflage
134
19 cm
12 cm
978-3532-62814-0

Zunächst ein Wort zu den AutorInnen:

Christine Scheel war 26 Jahre Abgeordnete der Grünen und berät heute Politik und Firmen im Bereich erneuerbare Energien.
Gerhard Engel war Präsident des Bayrischen Jugendringes u.a. mit dem besonderen Fokus auf die Vermittlung von Natur und ökologischem Bewusstsein.
Sie sind erfahrene FernwanderInnen und haben gemeinsam schon zahlreiche Alpenüberquerungen unternommen.

Zum Formalen:

In diesem Buch stellen die AutorInnen eine 17-tägige Weitwanderung vor vom Chiemsee zum Lago di Misurina, einem See in den Dolomiten in der Provinz Belluno in Italien, die sie selbst zusammengestellt haben, da sie bislang noch nirgends beschrieben ist.

Das Buch ist in einen Prolog und 20 Kapitel gegliedert. Jedes Kapitel enthält neben dem fortlaufenden Text am Schluss Kurzinfos über die Etappe wie Gehzeit, Höhenmeter, Orientierungspunkte und Übernachtung. Das Buch hat 134 Seiten und einen festen Einband. Die Maße, 19x13 cm, sowie das geringe Gewicht machen es auch rucksacktauglich.

Zum Inhaltlichen:

Schon die Vita der AutorInnen lässt vermuten, dass hier keiner der üblichen Wanderführer vorliegt, die überwiegend aus minutiösen Wegbeschreibungen bestehen. Darauf deutet auch der Untertitel hin. Geht es ja bei alpinen Touren oft um Aussichten, so soll es bei der Darstellung dieser Wanderung um Einsichten gehen, Einsichten, die die VerfasserInnen auf ihrem Weg gewonnen haben, aber wohl auch solche für uns Leser und Leserinnen. Im Prolog wird die Intention deutlich: „Die Lust auf Fernwanderungen in den Bergen ist unstillbar, sie kommt jedes Jahr wieder. Sie ist verbunden mit der Sehnsucht nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Aber das ist nicht reine Harmonie. Wir wollen vielmehr die Welt und das Leben in aller Vielfalt wahrnehmen: die Schönheit der Gipfel, der Gletscher, der Bergwiesen, der Wälder, der Tierwelt und der Seen, zugleich ihre Gefährdung durch Raubbau, Erschließungswahn und den Klimawandel.“

 

Wie versuchen die AutorInnen, diese Intention literarisch umzusetzen? Nun, jedes Kapitel bewegt sich auf zwei Ebenen. Das wird schon im Inhaltsverzeichnis deutlich: Es gibt jeweils eine Überschrift und eine Unterüberschrift. Die Überschriften benennen zunächst einmal die Gebiete, durch die die Wanderung verläuft: „Rund um den Geigelstein“, „Vom Walchensee zum Stripsenjoch“, „Im Gebiet der Hohen Salve“, „Großvenediger“, „Über das Gsieser Törl nach Italien“ um nur einige Beispiele zu nennen. Die Unterüberschriften hingegen verweisen auf einen besonderen inhaltlich-thematischen Schwerpunkt, der beim Wandern gerade in diesem Gebiet konkret bewusst und erfahren werden kann. So ist z.B. das Kapitel „Rund um den Geigelstein“ untertitelt „In Bergsteigerdörfern geht Tourismus anders „ oder das Kapitel „Großvenediger“ mit „Gletscherwelt und Klimawandel“.

Diese Zweiteilung findet sich auch in den einzelnen Kapiteln wieder. Einerseits literarisch ansprechende, teils poetische Beschreibungen des Weges und der Landschaft sowie der Gedanken, Empfindungen und Emotionen, die das Gehen dort auslöst: „Stille um uns herum. Die ganzen letzten Stunden schon, erst entlang kleiner Waldsteige, dann über saftige, stellenweise nasse Almwiesen, freundlich beobachtet von gelassen weidenden Kühen, schließlich durch den Wald nach oben bis zu einer hübschen, kleinen, nordseits seilgesicherten Felskuppe, über die wir den Weitlahnerkopf erreichen, erster Gipfel unserer Alpenüberquerung 2017…“ Andererseits eher sachlich formulierte Beschreibungen von Problemen, die am Weg sichtbar werden. Einen Absatz weiter im gleichen Kapitel: „….verbaute Hänge und ausufernde Siedlungsgebiete mit vielen, die meiste Zeit des Jahres leer stehenden Zweitwohnungen, großvolumige Hotelbauten,…Allerwelts-Gewerbekästen, riesige versiegelte Parkplatzflächen. Wer im Sommer über schneefreie Skihänge wandert, bemerkt den Unterschied zur unbelasteten Bergwiese. Vor allem durch die Verdichtung ändert sich die Vegetation, Schachtelhalm, Binsen und Rossminze werden stark – leider mögen das die Kühe nicht und Insekten finden kaum Nahrung.“

Dieses eine Beispiel mag genügen, um den Duktus zu verdeutlichen, in dem die einzelnen Kapitel geschrieben sind. Es gelingt den AutorInnen auf diese Weise sehr gut, ihre oben zitierte Intention zu verfolgen und auch den Leser/die Leserin auf ihrem Weg mitzunehmen, an ihren Gedanken teilhaben zu lassen und diese auch zu eigenen Überlegungen anzuregen.

Noch zwei kritische Anmerkungen:

  • Man hätte gerne etwas genauer gewusst, wie die Menschen in den durchwanderten Gebieten mit den dort exemplarisch aufscheinenden globalen Problemstellungen umgehen. So werden zwar an einer Stelle die Bergsteigerdörfer erwähnt, aber es wäre z.B. spannend zu erfahren, mit welchen Widrigkeiten haben sie zu kämpfen, wird die Entwicklung positiv aufgenommen und weitet sich aus, sind sie ökonomisch erfolgreich etc.
  • Das Buch macht Lust, diese Tour nachzuwandern. Dazu wäre eine Zusammenstellung des Kartenmaterials und ggf. weiterführender Literatur sehr hilfreich.

Ist dies nun ein Wanderführer?

Das Netzwerk Weitwandern hat mal in einem Beschluss formuliert:

„Weitwandern ist nicht nur eine besondere Kulturtechnik sondern hält auch ein Bildungsangebot bereit. Dies liegt etwa in der beim Wandern häufig sehr unmittelbaren Begegnung mit Menschen anderer Sprache und Kultur, in der Vorbereitung auf besondere historische, politische, kulturelle und landschaftliche Aspekte am Weg – man sieht nur, was man weiß – und nicht zuletzt in persönlichkeitsbildenden Elementen wie z.B. der Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein und Zutrauen zu sich selbst.“

In diesem Sinne haben wir hier einen wunderbaren Wanderführer zur Hand. Man würde sich mehr von dieser Art wünschen, anstatt kleinteiliger Wegbeschreibungen von bestens markierten Wanderwegen.

 
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