Alpe-Adria-Trail

Einmal den Alpe-Adria Trail am Stück, oder doch fast am Stück zu laufen, das war schon lange ein Traum von mir. Im zarten Alter von 76 Jahren habe ich ihn mir nun erfüllt und ich muss sagen, es war schon so wie geträumt und doch auch ganz anders.

Das geht schon gleich bei der ersten Etappe los. Von der Franz-Josefs-Höhe am Großglockner bis nach Heiligenblut soll sie führen – ein spektakulärer Auftakt. Fakt ist: Dauerstarkregen und permanente Gewitter machen diese Etappe leider unmöglich und da auch die nächsten Tage keine grundlegende Besserung erwarten lassen, verzichte ich schweren Herzens darauf. Auch der Bus, der mich eigentlich zum Startpunkt auf 2369 m Höhe bringen sollte, fällt unwetterbedingt aus. Also kann ich lange und ausgiebig frühstücken – ich hatte die Unterkunft gleich für zwei Nächte gebucht – und mir dann überlegen, wie ich mir den Tag in Heiligenblut gestalte. Glücklicherweise gibt’s hier doch das ein oder andere Sehenswerte. Also mache ich mich, ausgerüstet mit einem Leihschirm, auf den Weg.

 

 

Erste Station ist das weltweit bekannteste Wahrzeichen Heiligenbluts schlechthin, die Pfarrkirche zum Hl. Vinzenz. Keine Kirche im Alpenraum ist wahrscheinlich öfter auf die Platte gebannt worden, hebt sie sich doch an Tagen mit normalen Sichtverhältnissen direkt von der imposanten Kulisse des Großglockners ab, des höchsten Berges der österreichischen Alpen. Ursprünglich eine Kapelle aus dem 13. Jhdt. wurde in ihr ein Fläschchen mit dem heiligen Blut Christi aufbewahrt, das der byzantinische Kaiser Konstantin VII dem Dänenprinzen Briccius zum Geschenk gemacht hatte – daher der Ortsname „Heiligenblut“. Natürlich entwickelte sich die Kapelle sogleich zu einem wichtigen Wallfahrtsort, wurde schnell zu klein und so musste etwas Größeres her. Daher begann man dann im späten 14. Jhdt. mit dem Neubau der heutigen Kirche, die 1491 geweiht wurde. In der Krypta befindet sich auch das Grabmal des Dänenprinzen, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte und bis heute, obwohl niemals heilig gesprochen, wie ein Heiliger verehrt wird. Kein Wunder – profitiert der Ort doch auch bis heute nicht schlecht davon.

Nächste Station meines nassen Spaziergangs ist das „Haus der Steinböcke“. Heiligenblut ist ja Gründungsgemeinde des Nationalparks „Hohetauern“, dem ersten Nationalpark in Österreich. Und so erfährt man in diesem Haus alles über die Geschichte des Nationalparks, den speziellen Lebensraum „Hohetauern“, seine pflanzlichen und animalischen Bewohner*innen sowie seine alpinistische Erschließung durch den Menschen. Eine Sonderausstellung über den Steinbock mit dem Treffenden Titel „Der König und sein Thron“, zu der auch ein wunderschöner Film mit grandiosen Bildern gehört, runden den Besuch im Nationalparkzentrum ab und so sind rasch zwei unterhaltsame und informative Stunden vergangen. Danach ist erstmal Zeit für einen kleinen Mittagsimbiss im hauseigenen Café.

Der Nachmittag ist dem Archehof gewidmet. Das erfordert trotz heftigem Regen und immer wieder Blitz und Donner einen längeren Anmarsch durch ein kleines Tal, gesäumt von vielen alten Bauernhöfen. Einer davon ist der Archehof. Hier hat sich eine Bäuerin mit ihrer Familie der Rettung von aussterbenden Haustierrassen verschrieben. Aber nicht nur das. Zum Hof gehören eine Knopfmacherstube, in der ihr Mann seit 23 Jahren aus unterschiedlichsten Naturmaterialen mit unterschiedlichsten Werkzeugen Knöpfe herstellt, ein Literaturweg, eine Bücherei und ein Café. Eine Ferienwohnung wird auch vermietet und das alles unter dem Motto: „Ein Ort, an dem sich die Zeiger der Zeit nicht gegen sondern mit den Menschen drehen.“ Eine sehr inspirierende Erfahrung, wenn auch mit einem  eineinhalbstündigen Marsch durch den Dauerregen erkauft.

Und so habe ich den Tag in Heiligenblut am Ende auch selbst ziemlich durchfeuchtet aber doch ganz zufriedenstellend rumgebracht. Morgen wird dann auf jeden Fall der erste Schritt auf dem AAT gemacht, hoffentlich weniger nass.

 

Heute geht’s endlich los auf dem AAT. Mein Etappenziel ist Mörtschach im Mölltal. Der Regen hat tatsächlich aufgehört. Zwar hängen die Wolken immer noch tief um die Berge aber das Regenzeug kann erstmal im Rucksack bleiben, der doch um einiges schwerer ist als bei meinen Standardtouren.

Frohgemut mache ich mich auf den Weg doch nach einiger Zeit stehe ich unvermutet auf der Großglockner Hochalpenstraße. Auch wenn sie für mich als Fußgänger nicht mautpflichtig ist, auf ihr will ich nicht weiter. Also mit Hilfe der Alpe-Adria-App – übrigens für die gesamte Tour sehr nützlich – wieder zurück, bis ich dann an einer Scheune, von einem Holunderstrauch halb zugewachsen, die Wegmarkierung entdecke, die mich auf den richtigen Wiesenpfad geleitet hätte. Eine gute Stunde führt der Weg dann am Fuße der Goldberggruppe entlang durch Bergbauern- und Bergbauland. Jahrhunderte lang wurde in dieser Region Gold abgebaut und noch heute gibt es dort ein Camp, in dem man, als vielleicht sogar einträgliche Ferienbeschäftigung, das Goldwaschen erlernen kann.

Dann stehe ich plötzlich vor einem quer über den Weg gespannten rot-weißen Flatterband und ein Schild klärt mich auf, dass er ab hier gesperrt ist. Eine mögliche Umleitung ist nicht angegeben und ich bin etwas ratlos. Ein Bauer, der dort gerade in der Nähe auf seinem Hof herum werkelt, erklärt mir auf meine Nachfrage, dass gestern aufgrund der heftigen Regenfälle ein Hang abgerutscht ist und den Weg unpassierbar gemacht hat. Ich müsse wohl zurück, um dann auf der Großglockner-Hochalpenstraße das Hindernis zu umgehen. Das hätte ich auch schon früher haben können (s.o.) und wurmt mich jetzt natürlich. Eine Stunde zurück und weiter über die viel befahrene Straße, geht das nicht anders? Trotz der Sperrung dem Weg folgen ist im Hochgebirge nicht ratsam. Ein Blick auf die GPS-Karte und das umliegende Gelände zeigt, dass ich mich eigentlich „nur“ einen wenngleich auch sehr ausgeprägten Steilhang unterhalb der Straße befinde. Also versuche ich mal, ob ich dar rauf komme. Und tatsächlich, es klappt. Aber als ich oben auf der Straße ankomme, bin ich doch erstmal fix und foxi. Auch der weitere Verlauf des Wanderweges, den ich nach einiger Zeit wieder erreiche, ist mit seinen steilen Auf- und Absteigen der Erholung nicht unbedingt förderlich und so bin ich heilfroh als ich in Apriach ankomme und auf einer Bank unter einem ausladenden Hofdach, es hat wieder leicht zu nieseln begonnen, eine Pause einlegen kann. Apriach ist einer der wenigen Orte, an dem es noch die sogenannten Stockmühlen gibt. Das sind Mühlen, die mit dem Mühlrad nach unten auf Stelzen über ein fließendes Gewässer gebaut sind. Dieser Mühlentyp war früher weltweit in fast allen Gebirgsregionen üblich.

Weiter geht’s dann nach Döllach. Unterwegs hat man einen prächtigen Blick auf den Jungfernsprung, den mit 130 m höchsten Wasserfall Kärntens, auf der gegenüberliegenden Seite des Mölltals. Der Sage nach ist hier eine noch jungfräuliche Sennerin mit einem Sprung in die Tiefe den lüsternen Nachstellungen des Teufels entkommen und hat diesen Salto mortale natürlich nahezu unbeschadet überstanden.

Das ständige Auf und Ab fällt meinen Beinen jetzt doch zunehmend schwerer, zumal auch der Regen wieder eingesetzt hat, und so bin ich froh und glücklich, dass ich in Döllach nach kurzer Wartezeit in den Bus zum offiziellen Etappenziel nach Mörtschach steigen kann. Allen Nicht-Masochisten wird nämlich dringend davon abgeraten, diese letzten 5 km auf einem Radweg entlang der Bundesstraße durchs Tal zu Fuß zurückzulegen.

 

Mein nächster Zielort ist Marterle, irgendwie „Nomen est Omen“ für den Charakter der heutigen Etappe. Gut fünf Stunden geht es ständig bergauf, davon mehr als eine Stunde am Stück in der Direttissima. Gedanken an ein Martyrium sind da zwischenzeitlich nicht ganz von der Hand zu weisen, vor allem, wenn man auch noch über eine seilversicherte Wandquerung hinweg turnen muss. Aber es handelt sich ja schließlich auch um einen Pilgerweg zur höchstgelegenen Wallfahrtskirche in Kärnten, der schon seit 1836 bis heute von frommen Kirchgängern aus dem Oberen Mölltal begangen wird und wer weiß, ob er nicht auch meinem Seelenheil zuträglich ist.

Darüberhinaus ist es eine landschaftlich ausgesprochen reizvolle Etappe. Da sich der Weg, sofern er nicht gerade direkt steil aufwärts in der Bergflanke verläuft, in ständigen Serpentinen nach oben windet, gibt es, immer abwechselnd, tolle Aussichten zurück auf das Großglocknermassiv oder voraus auf die Lienzer Dolomiten. Dazwischen öffnen sich immer wieder atemberaubende Tiefblicke in das Obere Mölltal.

Die Wallfahrtskirche Marterle liegt auf 1860 m Höhe und ist an der Stelle errichtet, an der seit alters her ein aus einem Baumstamm gezimmertes Wetterkreuz mit der Statue des leidenden Heilands stand. Eine Kopie davon ist heute der Mittelpunkt des Hauptaltars. Die Figuren an den Altären sind von Schnitzern aus dem Grödnertal geschaffen worden.

Zur Wallfahrtskirche gehört noch ein uriger Berggasthof, in dem ich auch übernachte. Offiziell habe ich hier zwar erst die Hälfte der Etappe geschafft aber nach dem heftigen Aufstieg erstmal eine entspannende warme Dusche zu nehmen, ist mir allerdings viel lieber, als noch weiter durch den mittlerweile einsetzenden Regen zu laufen. Die andere Hälfte können wir dann morgen ganz gemütlich angehen. Zuvor macht der Gasthof „Marterle“ aber seinem Namen noch mal alle Ehre: Abendessen um halb sechs, Schluss in der Gaststube um acht, auf dem Zimmer keine Glotze und kein WLAN – das führt zu einer sehr sehr langen Nacht zumal mein Lesestoff auch nicht unbegrenzt ist und noch etliche Abende vorhalten soll. Man kann es sowieso nur im Bett aushalten, weil es im Zimmer mittlerweile bei draußen frostigen Temperaturen arschkalt ist.

 

Aber auch die längste Nacht geht vorüber und am Morgen fallen dann tatsächlich die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer. Obwohl es zunächst immer noch recht kalt ist, wird es ein schöner Tag. So beginnt ein überwiegend sehr angenehmer und langer Abstieg nach Stall, denn alles, was ich gestern raufgelaufen bin, plus noch ein paar zusätzliche Höhenmeter muss ich heute wieder runter ins Mölltal. Der Weg verläuft überwiegend durch weite Almwiesen, so dass das ständige Überklettern von irgendwelchen Gattern nebst zahlreichen Warnungen vor dem wilden und hoch gefährlichen Weidevieh, das hier auch tatsächlich noch auf der Alm steht, zum heutigen Tagesprogramm gehört. Übrigens, am 2. September ist hier Almabtrieb und entsprechend nervös sind die Viecher wahrscheinlich schon. Ich bin also auf der Hut erreiche aber unbeschadet nach gut 3 Stunden gemächlichen Abwärtsdaddelns wieder eine von mir so hochgeschätzte Asphaltstraße. Leider verlasse ich diese, immer noch stetig absteigend, für die nächsten annähernd zwei Stunden auch nicht wieder, so dass meine armen Knochen es doch sehr genießen, in der „Dorfschenke“ in Stall den wohltuenden Strahl eine warmen Dusche zu verspüren.

Der einzige Gasthof im Dorf, wo man etwas essen könnte, hat natürlich Ruhetag. Glücklicherweise nenne ich aber für diese Nacht ein ganzes Appartement inklusive Küche mein eigen und da es im Ort einen kleinen Supermarkt gibt, kocht der Chef heute Abend mal wieder selbst.

 

Heute ist Kräuterteetag. Auf dem Frühstückbuffet in der Dorfschenke stehen gleich zwei Gläser mit selbstgemischten Kräutern. Auf meine Nachfrage erklärt mir die Pensionsbetreiberin, dass sie sich seit längerem angelegentlich mit Kräutern und ihrer Wirkungsweise beschäftigt und diese auch in ihrem Garten z.T. selbst anbaut oder in der Botanik sammelt. Das muss ich natürlich probieren - beide Mischungen sehr lecker und wohltuend. So kann ich mich also beruhigt und im Einklang mit der Natur auf den diese Etappe wieder dominierenden Daueranstieg machen. Gut 1000 Höhenmeter sind heute zu packen. Anfangs noch auf Asphalt an einigen Almbauernhöfen vorbei, aber dann geht’s durch eine immer grandioser werdende Landschaft mit traumhaft schönen Ausblicken auf richtigen Wanderwegen immer höher hinauf. Ich bin total begeistert und kann mich kaum satt sehen. Aber das dicke Ende kommt dann doch noch auf dem letzten Wegabschnitt zur Goldberghütte. Ein kaum zu erkennender Steig, so schmal, dass man oft nicht einmal beide Füße nebeneinander stellen kann, in stetigem Auf und Ab, größtenteils in einem Steilhang verlaufend und garniert mit umgestürzten Bäumen, die mühsam umgangen werden müssen, verlangt mir noch mal die letzten Reserven ab.

Umso herzlicher der Empfang auf der Hütte. Die nette Wirtin kommt mir persönlich entgegen, nicht zuletzt allerdings um ihren großen Hund von mir fern zu halten, der sich zunächst doch recht aggressiv gebärdet, im Laufe der Zeit aber ganz friedlich wird, so dass man sich in seiner Nähe gut beschützt fühlen kann. Und was gibt’s als erste Stärkung? Zitronenkuchen und Kräutertee – ein exzellenter Tee aus vor Ort  selbst gesammelten Kräutern, Pi mal Daumen zusammengemixt, noch besser als der heute morgen. Umständliche Körperreinigung entfällt heute, weil‘s auf der Hütte keine Dusche gibt.

Als ich telefonisch angefragt hatte, ob noch ein Bett für mich frei sei, warnte mich die Wirtin, zu essen gebe es aber „nur“ einen Schweinsbraten. Aber was dann auf den Tisch kommt, ist ein fulminantes Abendessen: Das Fleisch, im Slow-Cooking-Verfahren, auf dem holzbefeuerten Herd in einen köstlichen zarten und mürben Braten verwandelt, begleitet von lecker-lockeren Knödeln und abgerundet mit einer würzigen Sauce, gemeinsam mit den Wirtsleuten und einem Verwandten am Küchentisch verspeist. Mmmhhh!!!

Anschließend geht’s um Ahnenforschung mit Auszügen aus historischen Kirchenbüchern – ein Hobby der Wirtsleute, wo ich noch ein wenig beim Entziffern alter Schriften behilflich sein kann. Da auch die passenden Getränke nicht fehlen, ein toller Ausklang eines wunderschönen Wandertages.

 

Sich am anderen Morgen von dieser Hütte und ihren Betreiber*innen zu verabschieden, fällt richtig schwer. Auf dem exklusiven Frühstücksplatz mit direktem Blick auf das Hochkreuz könnte ich bei diesem tollen Wetter noch stundenlang sitzen bleiben und mit der toughen Wirtin, die diese Hütte managt, gibt’s immer noch das ein oder andere Thema anzusprechen. Aber um 10:00 Uhr mache ich mich dann doch definitiv auf den Weg – einen der schönsten und angenehmsten bisher. Nicht nur die traumhafte Landschaft, durch die er führt, nimmt gefangen, sondern z.T. ist er auch ein ganz besonderer, die sogen. Rollbahn. In früheren Zeiten wurde hier oben Kupfererz abgebaut und die Rollbahn wurde angelegt, um das Erz hinunter nach Innerfragant abzutransportieren. Dazu musste auch ein Tunnel gegraben werden. Im Sommer passierte das mit Pferdefuhrwerken – kaum zu glauben, wenn man heute diesen Weg geht – und im Winter mit Schlitten. Dabei wurden mit Erz gefüllte Ledersäcke aneinander gebunden und von einem tollkühnen Fahrer ins Tal gelenkt. Ein solcher Sackzug konnte es dabei leicht auf über 700 Kilo bringen. Heute auf einem solchen Weg zu wandern ist natürlich recht kommode, ist er doch stetig leicht bergab führend aber nicht zu steil und lässt viel Zeit, die grandiose Landschaft ringsum zu genießen.

Zum Schluss wird’s dann allerdings noch einmal extrem ungemütlich. Hinunter nach Innerfragant verläuft der AAT auf einer besonders steilen abschüssigen und nur grob geschotterten Forststraße. Unten angekommen fühlen sich meine Füße irgendwie musig an. Ich muss aber noch weiter nach Außerfragant, meinem heutigen Etappenziel. Nur dort kann ich einen Bus nach Obervellach erreichen. Ich übernachte dort, weil der Weg zum eigentlichen Etappenziel wegen Bergsturz gesperrt ist, ich von Obervellach aus  aber gut wieder in die nächste Etappe des AAT einsteigen kann. Glücklicherweise verläuft dieses letzte Teilstück der wunderschönen Ertappe immer am Fragant-Bach entlang, so dass sich auch noch die Gelegenheit ergibt, meinen armen Füßen eine ausgiebige Abkühlung im frischen klaren Gebirgswasser zugute kommen zu lassen, wofür sie sehr dankbar sind.

 

Da ich die nächste Etappe schon in Obervellach starte wähle ich eine weitere aber schönere  Variante hinauf zur Tauernbahn anstatt direkt die Burg Falkenstein anzusteuern. Dadurch ist diese Etappe ziemlich genau zweigeteilt. Der erste Teil steigt mal wieder stetig an. Auf schönen, gut steigbaren Naturpfaden geht es kontinuierlich hinauf bis auf 1200 m, wo bei einem grandiosen Fernblick, dem sogen. Mölltalblick – extra ausgeschildert und mit Ruhebänken versehen – der höchste Punkt der heutigen Wanderung erreicht ist. Von hier ist es auch nicht mehr weit bis zu einer Brücke über die spektakuläre Tauernbahn, die seinerzeit ein Meisterwerk der Bau- und Ingenieurskunst war und 1909 von Kaiser Franz-Josef höchstpersönlich eröffnet wurde. Der Wanderweg verläuft allerdings weniger kunstvoll ab hier für den Rest der Etappe zumeist nur noch auf Asphalt.

Das nächste Highlight am Weg ist die Burg Falkenstein, ein Gemäuer aus dem 12. Jhdt., das Anfang des 20. Jhdts. sehr geschichtsgetreu restauriert wurde und heute besichtigt werden kann. Da ich noch gut in der Zeit bin, mache ich erst mal eine Brotzeit bis sich das Tor wieder öffnet und schaue ich mich dann in der Burg um. Leider ist der Burgfried aus baulichen Gründen derzeit nicht begehbar aber ansonsten bekommt man einen guten Eindruck, wie die alten Rittersleut‘ dort anno dunnemals gehaust haben. So vom Ambiente her konnte man wohl deutlich schlechter wohnen. Eine ältere Dame aus Hamburg, die die Burg gekauft und dort auch einige Zeit gelebt hatte, wäre allerdings in einem kalten Winter mangels ausreichender Heizmöglichkeiten beinahe erfroren, hätte ihr treusorgender Hund sie nicht solange ausreichend warm gehalten, bis sie ins Krankenhaus transportiert werden konnte.

Von Oberfalkenstein geht’s wieder hinunter ins Mölltal, wo der AAT ein gutes Stück auf dem gleichnamigen Radweg verläuft und bei Penk an einem liebe- und phantasievoll aufgebauten „Buffet“ vorbeiführt mit Getränken, Obst, Nüssen, Kettenfett, Erste-Hilfe-Utensilien und was man unterwegs sonst noch so gebrauchen kann. Alles kostenlos, nur um eine kleine Spende wird gebeten. Das ist auch für Wanderer einen Stopp wert, zumal ich mit etlichen Radlern ins Gespräch kommen kann, die den Trail, zumindest in Österreich, mit dem Fahrrad absolvieren.

Unterhalb des Danielsberges geht es dann glücklicherweise noch mal auf einem schönen Waldweg zum Ziel. Der Danielsberg steht isoliert mitten im Mölltal und war schon in der Steinzeit eine Kultstätte, bevor dann die Kelten dort siedelten und die Römer einen Herkulestempel auf seinem Gipfel errichteten. Dieser wurde dann im 4. Jhdt. durch eine christliche Kapelle ersetzt und bis heute steht dort oben eine Kirche.

In Kolbnitz übernachte ich in einer Pension mit angeschlossener Pizzeria und so muss ich mir über mein Abendessen auch schon keine Gedanken mehr machen.

 

Weil es in der Pension kein Frühstück gibt, muss ich erstmal zum SPAR und mir ein paar Frühstücksingredienzien zusammenkaufen nebst einem Coffee to Go und starte dann deutlich untercoffeiniert – das Defizit lässt sich auch später nicht mehr ausgleichen -  in die heutige Etappe zum Hühnersberg. Zunächst verläuft der Weg gemütlich entlang der Möll vorbei an einem großen Stausee. Der gehört zu einem gigantischen Energiegewinnungsprojekt durch Wasserkraft, das dort in der Gemeinde  Reißeck errichtet wurde. Zwei Druckrohrleitungen speisen das Kraftwerk, die mit jeweils 1800 Höhenmeter Gefälle den weltweit zweithöchsten Höhenunterschied zwischen Speichersee und Kraftwerk aufweisen. Um die Natur möglichst wenig zu beeinträchtigen ist die zugehörige riesige Pumpstation unterirdisch angelegt.

Nach einer halben Stunde auf dem Deich eines kanalisierten Stauseezuflusses erreiche ich das Ortszentrum von Mühldorf, wo mich, in Erinnerung an die frühe Besiedlung der Gegend, ein Keltenfürst in vollem Ornat vor dem Rathaus begrüßt. Schon im Ort geht’s dann wieder steil bergauf bis zu einer Unterführung der Tauernbahn und dann hinein in die märchenhaft schöne Barbarossaschlucht. Hier hat man die Geschichte vom Kyffhäuser nach Kärnten verlegt. So schläft der Rotbart, nachdem sein Gefolge entweder wegen Wasserfrevel versteinert oder vom Teufel verschleppt wurde, mit dem Kopf auf dem Barbarossa-Tisch seit Jahrhunderten seinen tiefen Schlaf und harrt seines Wiedererwachens. Der Weg durch die Schlucht ist so angelegt, dass man immer von einem tosenden Wildbach begleitet wird, der auch hin und wieder für Durchfeuchtung sorgt, was aber angesichts des sommerlich sehr warmen Wetters äußerst angenehm ist. Auch der Weiterweg durch Göriach vorbei am Bildstock der Schwarzen Muttergottes bis zur Wallfahrtskirche St. Maria in Hohenburg ist angenehm zu gehen. Dort gibt es einen schönen Gasthof, der aber leider Ruhetag hat – das wäre der perfekte Ort und Zeitpunkt für einen großen Kaffee gewesen.

Wie so oft kommt auch hier das dicke Ende zum Schluss. Hinauf zum Hühnersberg zum Kolmwirt, wo ich übernachten werde, heißt es noch einmal auf steil aufwärtsführender Straße eine Stunde glühend heißen Asphalt zu treten, so dass ich mich, oben angekommen, erstmal auf der schattigen Gasthofveranda bei einem kühlen Hefeweizen erholen muss und dabei einen schönen Ausblick genießen kann.

 

 

Heute geht es gemütlich dem ersten Wäsche- und Ruhetag zu. Die Etappe ist mit vier Stunden Gehzeit nicht allzu lang und verläuft ohne große Steigungen insgesamt stetig bergab bis nach Gmünd, dem heutigen Etappenziel. Zunächst führt mich der Weg nach Altersberg, einem kleinen Dörfchen, bekannt wegen des Altersberger Augenwassers, das aus einem kleinen Brünnlein in der Kirche St. Lucia (1513) sprudelt. Ich hätte ja gerne die Heilwirkung dieses Wässerchens am eigenen Leibe ausprobiert, aber leider war die Kirche geschlossen, so dass ich auch weiterhin als praktisch Einäugiger durchs Leben gehen muss.

Hinter Altersberg verläuft dann der AAT auf der „Märchenwandermeile“. Hier begegnen mir allerlei bekannte und auch einige unbekannte Märchengestalten. Höhepunkt dieses Wegabschnitts ist dann die Überquerung der Drachenschlucht auf der mit 175 m längsten Hängebrücke Kärntens – ist nur bei gutem Wetter geöffnet, aber ich habe Glück und kann mir so einen Umweg ersparen. Bewacht wird der Zugang zur Brücke von einem recht freundlich blickenden wenn auch seltsame Geräusche von sich gebenden Drachen, der mich aber anstandslos passieren lässt.

Kurz darauf treffe ich dann in Gmünd ein. Es liegt an einer alten Römerstraße am Schnittpunkt des Nationalparks Hohe Tauern mit dem Biosphärenpark Nockberge und ist eine der ältesten Städte Österreichs (11. Jhdt.) Heute genießt der Ort als Künstlerstadt Ensembleschutz. Jedes Jahr in der Sommersaison wird in der Stadtturmgalerie eine große Kunstausstellung organisiert, die einem Künstler/einer Künstlerin von Weltrang gewidmet ist. Dieses Jahr wird das grafische Werk von Max Ernst gezeigt, was anzuschauen ich mir natürlich nicht entgehen lassen werde. Daneben gibt es noch 13 weitere Ausstellungshäuser und Kunst überall in der Stadt. So wird aus dem Ruhetag eher ein spannender Kulturtag, der aber auch viele neue Eindrücke mit sich bringt.  Auch Historisches gibt’s zu entdecken und wem nach langer Zeit in der Natur mal wieder nach Bezinduft zumute ist kann das Porsche-Automuseum besuchen. Ich kann nur sehr empfehlen, hier einen Tag zu verweilen.

 

Mit zumindest teilweise sauberen Klamotten und kunstgesättigt mache ich mich nach meinem „Ruhetag“ wieder auf den AAT. Auch die heutige Etappe ist nicht besonders lang und soll laut Wanderführer auf angenehmen Wegen durch die liebliche Landschaft der Kärntener Seen bis zum Millstätter See führen. Aber kurz hinter Gmünd treffe ich mal wieder auf ein rot-weißes Flatterband mit dem Hinweis „Weg zwecks (?) Hangrutsche gesperrt“. Die Umleitung verweist auf eine Landstraße und ich denke noch ganz gottergeben: „Nu ja, Asphalt, kennste mittlerweile, is halt so.“ Aber kaum habe ich das schmale Sträßlein erreicht, bricht der Horror los. Pausenlos donnern die Abgesandten der „Hells Angels“ auf ihren schweren Mollen an mir vorbei und verbreiten ihren höllischen Gestank. Wie ich später erfahre, dauert diese Wegsperrung schon seit über zwei Jahren an – es wäre also reichlich Zeit gewesen, das Problem zu beheben.

Aber der Originalweg, auf den ich einige Kilometer vor dem Ziel wieder zurückkehren kann, ist erstmal auch nicht viel besser. Er verläuft unüberhörbar ständig parallel zur Autobahn und wenn dann noch von der anderen Seite von Forstarbeiten das Gekreische der Kettensägen in die Melodie der Autobahn einstimmt, ist die „Harmonie perfekt“ auch wenn die Landschaft wunderschön ist.

Kurz vor Seeboden, bei der Burgruine Sommeregg, wird mir auch klar, warum diese Straße bei Bikern so beliebt ist. Der Parkplatz dort ist komplett übersät mit ihren schweren Maschinen. Die Ruine muss ein Hotspot der Szene sein, beherbergt ihre Mauern doch das weltweit größte Museum für Folterinstrumente.

Erst die letzten Kilometer hinunter an den Millstätter See sind dann tatsächlich so wie im Wanderführer versprochen. Kurz vor Ende dieser Etappe hilft dann nur noch ein Zwischenstopp in einem sündhaft teuren Café mit Seeblick.

 

Nun geht es in die Nockberge. Eine Wanderregion, die ich überhaupt noch nicht kenne und auf die ich sehr gespannt bin. Für die Etappe zur Alexanderhütte gibt unser lieber Wanderfreund Martin Marktl in seinem Führer eine Gehzeit von fast acht Stunden an. Mittlerweile weiß ich, dass acht Stunden Marktl-Gehzeit mindesten 10 Stunden Arning-Gehzeit bedeuten und es daher für mich völlig unrealistisch ist, diese Etappe so zu laufen, wie er sie beschreibt. Glücklicherweise gibt es in dieser Region die tolle Einrichtung des Nockmobils, so etwas wie ein öffentlich subventioniertes Taxi, das einen zu einem bestimmten ausgemachten Zeitpunkt von einem bestimmten Haltepunkt abholt und zu einem Festpreis zu einem anderen Haltepunkt bringt. Haltepunkte gibt es zahlreiche im Nationalpark Nockberge, um den Individualverkehr in dieser Region möglichst gering zu halten. Und so ein Nockmobil bestelle ich mir, dass mich für 3 € von Seeboden zur Pichlhütte bringt und mir dadurch schon mal einen vierstündigen Aufstieg erspart. Bleiben zwar immer noch 6 Stunden bergauf, aber die sind grandios. Auf schönen Bergpfaden mit immer spektakulärer werdenden Ausblicken in die Tiefe auf den Millstätter See und in die Höhe der umliegenden Dreitausender geht es hinauf zum Gipfel des Tschiernock (2088 m) direkt ins Herz der Nockberge, nicht ohne vorher noch eine wohlverdiente Mittagspause auf der Sommeregger Hütte eingelegt zu haben.

Die Nockberge sind, obwohl zu den Gurktaler Alpen gezählt, ein viel älteres Gebirge als die Alpen und so sind ihre Gipfel durch die schon länger einwirkende Verwitterung eher rund, kugelig und grasbedeckt. Das hat den Vorteil, dass man sich fast immer oberhalb der Baumgrenze bewegt und so die besten Aussichten nach allen Seiten hat. „Nock“ bedeutet übrigens „kleiner Berg“, aber so klein sind sie gar nicht, wie jeder bestätigen wird, der einmal hinaufgekraxelt ist.

Vom Tschiernock führt dann eine wunderbare aussichtsreiche Gratwanderung hinüber zum Hochpalfennock (2099 m) und weiter zum Tschierweger Nock (2010 m). Von dort geht es dann auf schmalem Pfad  300 m steil hinunter zur Alexanderalm. Wochenendbedingt habe ich dort allerdings keine Übernachtungsmöglichkeit mehr bekommen und so muss ich noch ein kleines Stück auf einer Fahrstraße ums Eck bis zur Millstätter Hütte weiter, eine traditionelle Alpenvereinshütte. Hier werde ich die Nacht, wie es sich gehört, im Matratzenlager verbringen. Vorher gibt’s aber noch Kaffee, Zwetschgenkuchen und dann ein leckeres Abendessen und so geht mal wieder ein wunderschöner wenngleich auch anstrengender Wandertag zu Ende. 

 

Die Hüttennacht war diesmal etwas unruhig. Eine Katze hatte sich in das Zimmer geschlichen, was aber niemand bemerkt hatte, und suchte in der Nacht immer  wieder ausgerechnet die wohlige Wärme meiner Decke, bis es mir irgendwann schließlich gelang, sie aus dem Zimmer zu scheuchen und wenigstens noch eine geruhsame Restnacht zu verbringen. Nach einem reichhaltigen regionalen Hüttenfrühstück – alle Produkte kommen aus einem Umkreis von maximal 40 km – geht‘s dann auf dem AAT gleich ordentlich zur Sache. Direkt von der Hütte weg muss mit dem Gipfel des Kamplnock (2101 m) gleich der höchste Punkt der heutigen Etappe erklommen werden. So unmittelbar nach einem ausgiebigen Frühstück ist das auch kein Zuckerschlecken. Aber oben entschädigt ein phantastischer Ausblick auf den Millstätter See, die Hochalmspitze und das Liesertal reichlich für die Mühen des Aufstiegs.

Von nun an geht es praktisch auf einem Panoramaweg in 1800 m Höhe oberhalb des Sees voran mit immer wieder grandiosen Ausblicken in die Tiefe und in die Weite, auch die ersten Gipfel der Julischen Alpen schieben sich langsam ins Blickfeld. Da will ich auch noch hin. Aber erstmal gibt es in der Nähe noch einiges zu entdecken wie z.B. das Obermillstätter Almkreuz, das an eine alte Sage erinnert:

Einst sanken zwei Ochsen mit Wagen und Heu
in die Tiefe – es war in Sekunden vorbei.
Nichts zeugte vom Unglück, vom finsteren Grauen,
nicht die Welle die kleinste, konnt‘ das Auge erschauen.
Erst Wochen danach und jenseits der Höh,
trieb das Ochsenjoch drüben im Millstätter See“

Zwei Kilometer weiter kommt man zum Granattor, ein überdimensionales Tor, von Künstlerhand in die Landschaft gesetzt. Es soll auf die Granatvorkommen auf der Millstätter Alpe hinweisen, die zu den größten in Europa gehören. Und weil der rote Granat auch ein Symbol für die Liebe ist, ist es nur folgerichtig, dass der AAT hier auch auf dem „Sentiero dell’Amore“ verläuft. Schließlich gilt es noch dem „Stoana Mandl“ am Lammersdorfer Berg (2063 m) einen Besuch abzustatten – eine riesige, aus Steinen aufgeschichtete Pyramide, umgeben von unzähligen Steinmännchen, und  mit einem prächtigen Panoramrundumblick.

Dann heißt es absteigen. Auf einem kleinen Schottersträßchen geht es etwa eine Stunde hinunter zur Lammersdorfer Hütte mit angeschlossener Käserei. Dort ist es brechend voll, weil sie über einen ordentlich großen Parkplatz verfügt und so fährt bei schönem Wetter alle Welt mit dem Auto hier herauf, um bei gutem Essen und Trinken eine tolle Aussicht auf den Millstätter See zu genießen, die keinerlei Fortbewegung mit Muskelkraft erfordert. Ich habe mir noch einmal ein Nockmobil bestellt und beende hier meine Etappe, denn noch drei Stunden auf der Straße mit dem Rückreiseverkehr von der Hütte bis Döbriach abzusteigen, will ich mir ersparen. Das würde ja auch aus der wunderschönen nur eine durchwachsene Etappe machen.

 

Höhenprofil der heutigen Etappe zum Erlacher Haus: Aufstieg: 1150 m, Abstieg: 0 m – oha! Erstmal geht’s aber wenigstens fast eben los. Von Döbriach aus folgt der AAT  5 km nur leicht ansteigend dem Riegersbach bis Radenthein. In Radenthein ist seit dem ausgehenden Mittelalter Bergbautätigkeit nachweisbar. Zunächst wurde Eisenerz abgebaut, dann ab Mitte des 19. Jhdts. Magnesitstein und, das hat den Ort dann über die Landesgrenzen hinaus besonders bekannt gemacht,  seit Anfang des 20. Jhdts. Granat. Diesem ist auch ein eigenes Museum gewidmet das „Granatium“. Einen Stein zu kaufen, kann ich mir nicht verkneifen, ist er doch ein Stein der Liebe.

Dann, schon mitten im Ort, beginnt die Schinderei. Bis zum Eingang ins Langalmtal muss man sich zunächst einmal auf steilsten Wegen hinauf kämpfen. Mit Wandern hat das wirklich nicht mehr viel zu tun. Nachdem ich diesen Teil des Weges hinter mich gebracht habe sollte er als Themenweg laut Wanderführer in abwechslungsreichem Ambiente durchs Langalmtal führen. Aber anscheinend wurde die Wegführung geändert und so steige ich weiter steil bergauf nur jetzt eben auf Asphalt. Aber auch als dieser Abschnitt gemeistert ist, wird es nicht besser. Der AAT wechselt nun auf eine breite und stetig ansteigende, fürs Wandern ziemlich ungeeignete Schotterstraße, die offensichtlich nur angelegt wurde, damit weiter oben liegende Hütten mit Einkehrmöglichkeit von Gästen mit dem Auto erreicht werden können. Davon wird an diesem schönen sonnigen Sonntag auch reger Gebrauch gemacht inkl. der dadurch unvermeidlichen Staubbelastung auf dieser Straße. Schatten gibt’s auch keinen, aber ich kann dann wenigstens in einer der Almhütten unter einem Sonnenschirm eine ausgedehnte Mittagsrast machen und mir ein reichhaltiges Jausenbrot schmecken lassen.

Gestärkt marschiere ich dann weiter und ein kurzes Stück verlässt der AAT die Schotterwüste und wird sofort zu einem wunderschönen Weg durch einen lichten Lärchenwald. Doch das Vergnügen währt nur kurz. Nach einem heftigen kurzen Aufstieg über eine Almwiese hat der Schotter mich wieder bis hinauf zum Erlacher Haus, meinem Etappenziel. Auch hier herrscht reichlich Ausflugsverkehr mit  privateigenen Kraftfahrzeugen. Ich denke mir, wie schön es doch sein könnte, wenn  sie im Biosphärenreservat verboten und die Straßen wieder zu wanderbaren Wegen zurückgebaut wären.

Nach meiner Ankunft muss ich eine unliebsame Überraschung verdauen: Mein Ziel für den nächsten Tag, die Lärchenhütte, ist wegen Krankheit geschlossen. So muss ich schweren Herzens die letzten beiden Etappen durch die Nockberge ausfallen lassen und vom Erlacher Haus morgen früh mit einem Bus direkt nach Bad Kleinkirchheim hinunterfahren. Ein kleines Fazit zu den letzten Etappen sei mir aber trotzdem gestattet: Die Nockberge sind ein sehr attraktives Wandergebiet nicht zuletzt aufgrund ihrer geomorphologischen Struktur, die vielfach grandiose Ausblicke ermöglicht.

 

Nach der Ankunft in Bad Kleinkirchheim ist wieder ein Ruhetag vorgesehen – übrigens spielt hier eine ganz amüsante Krimiserie mit einem Wiener Kommissar, der jedesmal in einen Mordfall verwickelt wird, wenn er in Bad Kleinkirchheim zur Kur weilt. Da ich den nächste Wegabschnitt bis zum Baumgartner Hof an der slowenischen Grenze bereits von einer anderen Wanderung her kenne, dient der Ruhetag der Überführung mittels Bahn und Bus nach Kranjska Gora, dem Ausgangspunkt für den slowenischen Teil des AAT.

Kranjska Gora ist ein sehr angenehmer und aufgeräumter Ort – bekannt u.a. durch die Skiflugschanze Planica. Auch er ist touristisch voll ausgebaut aber irgendwie zurückhaltender und weniger aufdringlich als die touristischen Hotspots auf der Kärntener Seite, insbesondere um die Seen herum. Ein erster Blick auf die den Ort umgebenden Gebirgsformationen lässt schon erahnen, dass die Julischen Alpen noch einmal einen ganz anderen Charakter haben als die Hohen Tauern und die Nockberge, die ich bislang durchwandert habe. Ich freue mich auf die erste Etappe in diesem mir bislang noch völlig unbekannten Teil der Alpen.

 

Heute führt mich der AAT nun in den Triglav-Nationalpark. Ich bin gespannt, ob er wirklich so schön ist, wie ich es schon von verschiedenen Seiten gehört habe. Um es gleich vorweg zu sagen: Die heutige Etappe übertrifft alle Erwartungen. Aber der Reihe nach.

Nachdem ich Kranjska Gora verlassen habe, muss ich zunächst ein wenig nach dem rechten Weg suchen, denn die Markierung ist nicht so offensichtlich angebracht, wie in Österreich – oft sind es nur kleine Aufkleber auf den lokalen Wegweisern. Aber wenn man’s mal raus hat, funktioniert es ganz gut und so gelange ich, wie geplant, zu den Seen von Jasna. Sie liegen sehr schön, umgeben von einer imposanten Bergkulisse, weisen aber auch Rummelplatzatmosphäre auf. Das ändert  sich rasch, als ich die Zufahrtsstraße verlassen und auf einen Pfad entlang der Pisnica einschwenken kann. Die Landschaft wird immer zauberhafter, die Bergriesen der Julischen Alpen rücken zum Greifen nahe und der Weg führt, auch mal abenteuerlich, durch fast ausgetrocknete Flussbetten, um dann wieder in lichten Wald und auf grüne Almwiesen zu wechseln. Da es keine großen Steigungen gibt, kann ich immer wieder geruhsam stehen bleiben, schauen und die Landschaft genießen.

Doch nach etwa fünf Kilometern ändert sich das Terrain. Die Landschaft bleibt nach wie vor atemberaubend aber der Weg erfordert jetzt für die nächsten Kilometer Kondition und volle Konzentration, denn es geht über steinige und verwurzelte Waldpfade steil hinauf auf 1600 m zum Vrsic-Pass. Ein Highlight am Weg  lädt aber noch einmal zu einer längeren Pause: Die Russische Kapelle. Da gerade der zuständige Küster mit seiner Frau anwesend ist, lädt er mich ein, einzutreten und erzählt mir die Geschichte dieses Ortes:

Im ersten Weltkrieg war Kranjska Gora eine wichtige Basis und ihre Verbindung mit der Front an der Soca war von besonderer strategischer Bedeutung. Daher wurde eine Straße über den Vrsic-Pass bis zum Trenta-Tal gebaut. Dafür setzte das österreichische Militärkommando 10000 russische Kriegsgefangene ein. Im März 1916 verschüttete eine Lawine vom Mojstrowka mehr als 100 von ihnen. Über ihre Grabstätte bauten die russischen Kriegsgefangenen dann 1917 eine Holzkapelle zur Erinnerung an ihre verdorbenen Kameraden.

Zum Abschied soll ich noch die Glocke läuten und dann verlasse ich, sehr nachdenklich geworden und zum ersten Mal auf dieser Wanderung mit den Grauen der Isonzo-Schlachten konfrontiert, diesen Ort und steige auf einem alten Eselspfad weiter steil hinauf bis zu meinem heutigen Etappenziel.

Da ich mit Stehenbleiben, Schauen und Genießen viel Zeit verbracht habe, quartiere ich mich in der Ticarjev Dom ein, einer bewirtschafteten Berghütte in toller Lage etwas unterhalb des Passes. Übrigens, „Dom“ heißt „Hütte“ auf slowenisch, und so ließe sich ein deutsches Sprichwort angemessen abwandeln; „Platz ist im kleinsten Dom“ – und Platz ist hier noch reichlich, außer mir gibt’s nur noch vier Übernachtungsgäste und so ist der Einzelschlafraum garantiert. Sehr schmackhafte Trüffelmakkaroni mit einem guten slowenischen Tropfen zum Abendessen runden einen perfekten Wandertag ab.

 

Auf der anstehenden Etappe nach Trenta wird für mich ein weiterer Traum wahr: Meine Wanderung durchs Socatal wird heute beginnen. Als ich von der Hütte aufbreche, sind die Berge noch in dichten Nebel gehüllt. Aber es geht ein ziemlich heftiger Wind und das lässt hoffen, dass er die Schwaden über kurz oder lang vertreiben wird. So mache ich mich frohgemut und bester Stimmung auf einen langen, steilen aber auf wieder gut begehbaren Waldwegen sehr schönen Abstieg zur Quelle der Soca. Immer wieder wird der Blick frei auf die imposanten weiß glänzenden Gipfel der slowenischen Kalkalpen, die der Wind, wie ich erhofft hatte, nach und nach wieder blank geputzt hat – manchmal kommt sogar auch die Sonne durch. Des Öfteren ist auch ein ebenfalls blendend weißes, ausgetrocknetes Flussbett zu queren und ich kann mir lebhaft vorstellen, wie hier nach starkem Regenfall ein reißender Gebirgsbach zu Tale schießt und den Weg unpassierbar macht. Aber heute gibt es zum Glück kein Problem damit.

Und dann ist es soweit: Ich stehe, nach einem kurzen Abstecher abseits des Weges, am Ursprung der Soca, eine geheimnisumwitterte Karstquelle in den Julischen Alpen. „Die Volksüberlieferung besagt, dass in Trenta Gott TriglavGott Jalovec und Gott Mangart lebten. Als dann ein böser Wasserspeier nach Trenta kam, der alle Dörfer unter Wasser setzte, haben die Götter beschlossen, ihn einzusperren und in der Höhle festzubinden. Seinen Mund ließen sie nur soweit offen, dass er das Tal bewässern konnte. Wenn er seine Strafe abgebüßt haben wird, werden sie ihn befreien und dann wird die Soca versiegen.“ (Ich hoffe, dass dauert noch lange)

 

Die Soca ist kein gewöhnlicher Fluss. Sie ist Europas einziger noch komplett unregulierter Wildfluss, sie ist slowenisches Nationalheiligtum, sie ist der Smaragdfluss, sie hat eines der schönsten Flusstäler Europas geformt und sie hat unter ihrem italienischen Namen „Isonzo“ eine tragische Rolle in der europäischen Geschichte gespielt. Zwölf blutige Schlachten zwischen Italien auf der einen und Österreich-Ungarn sowie dem Deutschen Kaiserreich auf der anderen Seite wurden an ihren Ufern geschlagen. Mit über eine Million getöteter, verwundeter und vermisster Soldaten gehörten die Isonzo-Schlachten zu den verlustreichsten des Ersten Weltkrieges. Die Stellungen zogen sich auf beiden Seiten durch das Tal, das heute ob seiner unvergleichlichen Schönheit Menschen aus aller Welt anzieht. So habe ich Wanderer und vor allem auch Wanderinnen aus den USA, Australien und vielen anderen europäischen Ländern getroffen. Das ist doch eine sehr erfreuliche Entwicklung. Aber wenn man auf einem Felsbrocken direkt am Fluss sitzt und in seinem Rauschen seinen Geschichten lauscht, wird einem sehr bewusst, was auch heute wieder auf dem Spiel steht.

Nachdem ich ihm lange zugehört habe, bin ich seinem Lauf dann weiter gefolgt bis zu meinem heutigen Etappenziel Trenta, was im wesentlichen aus dem Triglav-Nationalparkzentrum samt angegliederter Übernachtungsmöglichkeit und einer sehr gut frequentierten Pizzeria besteht. So kommt auch das leibliche Wohl nach dieser beeindruckenden Etappe nicht zu kurz.

 

In der Nacht hat es geregnet aber als ich aufbreche kommt nichts mehr von oben und so mache ich mich gespannt auf die 2. Etappe durch das Socatal. Der Fluss hat schon deutlich an Breite und Kraft zugenommen und entsprechend ist der Weg an seinen Ufern schwieriger geworden. Ständig geht es in felsigem und stark verwurzeltem Gelände kurz aber steil rauf und runter und aufgrund des nächtlichen Regens ist es auch ziemlich glatt und rutschig. Zudem machen immer wieder kleine Felsstürze komplizierte Umgehungen nötig. Der Weg erfordert sehr viel Konzentration und das strengt auch ganz schön an. Aber die Anstrengung wird reichlich belohnt. Die zunehmende Kraft des Wassers hat grandiose Schluchten und Kolke entstehen lassen, die der Fluss bis teilweises 20 m tief in den Kalkstein gefräst hat und die man – was ein besonderes Vergnügen ist – hin und wieder auf luftigen schwankenden Hängebrücken überqueren muss mit phantastischen Tiefblicken auf die tosende, manchmal aber auch sehr gemächlich dahinfließende Soca. An diesen Stellen springt unmittelbar ins Auge, warum die Soca den schönen Namen „Smaragdfluss“ trägt.

Gegen Ende der Etappe fängt es doch noch an, zu regnen und zu gewittern, weshalb ich den Weg unmittelbar am Fluss verlasse und auf eine Straße ausweiche, was den Vorteil hat, dass ich das Schlimmste in einem kleinen Restaurant bei Kaffee und Kuchen abwarten kann. Das erfordert zwar einen Umweg, der aber entlang eines kleinen Nebenflusses der Soca auch ganz hübsch ist. Schließlich erreiche ich, wenn auch verspätet, bei der kleinen „Kirche der Jungfrau Maria Polje“ wohlbehalten und trocken die Ortsgrenze von Bovec. Die Kirche stammt aus dem 16. Jhdt. enthält Fresken des Malers Jerneij aus Loka von 1529 und ist bekannt wegen ihrer besonderen Akustik, weswegen dort sehr häufig Konzerte stattfinden. Ich hätte sie mir gerne angeschaut aber sie ist leider geschlossen.

 

25 Kilometer und 10 Stunden Gehzeit wegen einer Umleitung des AAT, das muss nach der gestrigen doch recht anstrengenden Etappe nicht sein. Also habe ich mir ein wenig Schonung verordnet und fahre von Bovec aus erstmal ein Stück mit dem Bus. In Trnovo steige ich wieder in den Trail ein. Leider verlässt er jetzt das Socatal und führt stetig doch nicht sehr steil ansteigend in eine recht liebliche Mittelgebirgslandschaft. Ich komme an einigen Felsstürzen vorbei, die aber den Weg nicht versperren, und werde häufig von Mountainbikern überholt – anscheinend ist das hier eine beliebte Strecke.

In Magozd muss ich mich entscheiden. Laufe ich den AAT weiter bis zu seinem offiziellen Etappenziel Dreznica, hätte ich morgen wieder eine 10-stündige Etappe zu gehen, die diesmal auch nicht mit einem Bus zu verkürzen wäre. Das ist mir entschieden zu lang und so tüftele ich eine Alternative aus. Von Magozd steige ich wieder ab ins Socatal und steure Kobarid an. Auch dieser Weg erweist sich als wunderschön. Erst komme ich an einem Brunnen vorbei, in dem Erfrischungsgetränke gekühlt werden. Gegen eine freiwillige Spende darf ich mich bedienen, bei der Hitze ganz angenehm. Dann führt der Weg zu zwei rauschenden Wasserfällen, bei denen sich im kühlen Schatten wunderbar Rast machen lässt.  So erreiche, nachdem ich auf einer steinernen Bogenbrücke wieder eine Schlucht der Soca überquert habe,  ganz entspannt das Städtchen Kobarid.

Diese von mir gewählte Variante hat drei erfreuliche Konsequenzen: Ich kann die nächste Etappe nach Tolmin auf dem Juliana-Trail deutlich kürzer und weniger anstrengend zurücklegen; ich kann noch einen weiteren Tag im Socatal wandern und ich kann in Kobarid das umfassendste Museum zu den Isonzoschlachten besuchen. Diese Ausstellung war ein sehr markantes Erlebnis auf meiner gesamten Wanderung und hat mich sehr stark berührt. Insbesondere die Zeugnisse der Soldaten von beiden Seiten, die dort gekämpft und unermesslich gelitten haben sowie ein Film, den ich in deutscher Sprache sehen konnte, waren schon heftig und teilweise nur schwer zu ertragen. Ich sehe jetzt meine Wanderung durch das Socatal auch noch einmal mit ganz anderen Augen.

 

Die heutige Etappe habe ich ja kurzfristig über den Juliana-Trail um geplant und dadurch deutlich verkürzt. Eine weise Entscheidung. Sie dauert ja auch so noch 6 ½ Stunden und wird, nachdem sich die Nebel über dem Socatal aufgelöst haben, rasch zu einer schweißtreibenden Hitzeschlacht. Glücklicherweise komme ich immer wieder durch kleine Dörfer – das gehört zu der spezifischen Philosophie des Juliana-Trails, menschliche Lebensräume erfahrbar zu machen – wo oft ein Trinkwasserbrünnlein sprudelt, so dass zumindest gegen den Durst was getan werden kann. Trotzdem setzt die Hitze ganz schön zu, denn Schatten gibt es unterwegs eher selten.

Auch auf diesem Weg wird man immer wieder an die Isonzoschlachten erinnert. So ist etwa auf einem Bauernhof ein ehemaliger gemauerter Unterstand zu einer Wagenremise umfunktioniert worden und bei Kamno hat es einen italienischen und  österreichischen Soldatenfriedhof gegeben. Dort waren damals 1897 Soldaten begraben, davon 173 italienische, 40 österreichische und viele unbekannte. Nach einer Umgestaltung wurde der Friedhof nach dem Oberstleutnant Piscicelli benannt, der während der Verteidigung der italienischen Stellungen 1917 gefallen ist. 1938 wurde der Friedhof aufgegeben. Die sterblichen Überreste der italienischen Soldaten wurde in das Beinhaus von Kobarid umgebettet und die der österreichischen Soldaten auf den Soldatenfriedhof Loce bei Tolmin. Von dem ehemaligen Friedhof zeugen heute noch das Eingangsportal und eine Gedenktafel für die Gefallenen der Brigade Emilia mit der Inschrift „AI CADUTI DELLA BRIGATA EMILIA MCMXVI“. Auch der Brunnen am Hauptplatz von Tolmin, den die Italiener während der Gefechte im Socatal unter einem Vorwand zerstört haben, weil er ein Treffpunkt für slowenische Partisanen war, die auf der Seite von Österreich-Ungarn kämpften, wurde nach dem Krieg originalgetreu wieder aufgebaut und wird als Gedenkstätte genutzt.

Froh bin ich dann doch, als ich im Hotel unter der Dusche stehen und mich langsam durch den Ablauf spülen kann, um dann mit dem, was von mir noch übrig ist, ein ganz großes Eis essen zu gehen.

Diese Etappe ist die letzte, die ich vollständig in Slowenien absolviere. Und ich muss sagen, das was ich von diesem Land und seinen Menschen kennenlernen durfte, hat mich restlos begeistert insbesondere natürlich als Wanderer, rühmt sich doch Slowenien auch, in Relation zu der Größe des Landes dasjenige Land mit dem größten Wanderwegenetz in Europa zu sein. Auf der nächsten Etappe wird dann die Grenze nach Italien überschritten, dem dritten europäischen Land, durch das der AAT verläuft. Dann wird’s auch sprachlich für mich wieder einfacher.

 

Heute wird es auf dem Weg zum Rifugio Solarie richtig heftig, aber der erste Kilometer geht noch einmal gemütlich an der Soca entlang, wo ich den Fliegenfischern bei ihrem sonntäglichen Angelvergnügen zuschauen kann. Dann heißt es für diese Tour endgültig von der Soca Abschied zu nehmen und sich auf den langen und steilen Anstieg zum Kolovrat zu machen, einem Bergzug, der die natürliche Grenze zwischen dem Socatal und dem Friaul auf italienischer Seite darstellt. Ich passiere Volce, die letzte Ortschaft auf slowenischer Seite. Hier empfängt mich Glockengeläut von der antiken Kirche San Daniele, also ist auch in Slowenien um 10:00 Uhr sonntags wohl die übliche Zeit für den Kirchgang. Aber wie’s entlang der Straße so ausschaut ist das ebenfalls die Zeit, in der die slowenische Männlichkeit mit Hingabe ihr heilix Blechle poliert – Religionsersatz eben.

Am Ortsausgang geht’s dann richtig steil los, erst noch so eine geschlagene Stunde auf einem Asphaltsträßchen und dann, noch steiler werdend, mit Schmackes knapp drei Stunden durch den Wald. Aber was für ein Wald! Ein intakter Laubwald von undurchdringlichem Grün und sehr feucht, lianenähnliche Gewächse hängen über dem Weg und weil es auch noch schwül-warm ist, komme ich mir vor, als wäre ich am Amazonas unterwegs. Kein Wunder, dass es mir den Schweiß aus allen Poren treibt.

Als sich das Grün endlich lichtet, stehe ich unvermittelt auf einem Parkplatz mit vielen Autos, noch mehr sonntäglichen Ausflüglern und einem Container, in dem Souvenirs in der üblichen Aufmachung und gekühlte Getränke angeboten werden. Das mit den Getränken ist schon o.k., das mit den Souvenirs mutet für mein Gefühl etwas blasphemisch an, sie wollen nicht so recht zu diesem Ort passen. Hier beginnt nämlich ein Rundweg durch das Freilichtmuseum Kolovrat entlang eines Teilstücks der italienischen Verteidigungslinie während der Isonzoschlachten. Er führt durch Schützengräben, Unterstände, Befestigungsanlagen und Höhlen, in denen die Soldaten hausen mussten. Es ist ungeheuer beklemmend, da hindurch zu laufen und sich vorzustellen, wie sich hier die ja überwiegend noch sehr jungen Menschen unter ständigem Geschützfeuer und in Dreck, Kälte und Nässe, ständig den Tod vor Augen, verschanzt haben. Die Berichte der Soldaten aus dem Museum in Kobarid werden plötzlich noch einmal erschreckend realistisch. Schon der Weg, den ich heraufgekommen bin, diente auch dem Transport von Kriegsmaterial zu den Linien auf dem Kolovrat – die Pflasterung war z.T. noch erhalten – und jeder, der wie ich seinen vergleichsweise leichten Rucksack da herauf geschleppt hat, kann ansatzweise ermessen, was das für eine Schinderei gewesen sein muss. Wohl selten kann einem der Wahnsinn eines solchen Stellungskrieges so hautnah bewusst werden wie in diesem Freilichtmuseum.

Gut, dass das Rifugio Solarie eine so gastfreundliche Aufnahme bietet und bei richtigem italienischem Cappuccino und Apfelstrudel noch einmal Zeit für eine nachdenkliche Verarbeitung der Eindrücke lässt.

 

Nach dem sehr angenehmen Aufenthalt im Rifugio Solarie empfängt mich beim Aufbruch dichte Nebelsuppe, die auch den ganzen Tag über nicht so recht weichen will. Gänzlich unklar ist mir, wie das heute mit der Übernachtung laufen soll. In Tribil di Sopra, dem Zielort, gibt es nur Appartements, die über eine Agentur vergeben werden. Die ist aber nicht zu erreichen. Ich versuch’s schon seit zwei Tagen ohne Erfolg und auch heute hat es nicht funktioniert. Also erstmal hin und dann vor Ort die Lage checken.

Auch auf dieser Etappe begegnen mir immer wieder Zeugnisse aus dem Ersten Weltkrieg: Reste von Unterständen und Materialdepots und auch der Weg, auf dem hier heute der AAT verläuft war derzeit ein wichtiger Nachschubweg. Bei der Kirche San Volfango gibt es eine Gefallenengedenkstätte mit einem Zugang aus Granatenhülsen.

Da der Weg heute aussichtslos ist, laufe ich nicht, wie ursprünglich vorgesehen, über den Gipfel des Monte Cum sondern unten herum – man sieht so oder so nix – und bin so etwas schneller in Tribil, was angesichts der unklaren Übernachtungslage auch nicht schlecht ist. Aber leider bestätigen sich dort alle Befürchtungen. Der Ort scheint menschenleer. Das Übernachtungsproblem ist nicht lösbar und es gibt auch keinen Laden, kein Restaurant, keine Bar – nichts, wo irgendwie öffentliches Leben stattfinden könnte. Angesichts der halben Tüte Studentenfutter, die ich noch im Rucksack habe, ist Hierbleiben weder eine Option noch eine reale Möglichkeit. Glücklicherweise gibt es eine Bushaltestelle und laut Fahrplan fährt sogar auch noch ein Bus nach Cividale. Einziges Problem: Man muss die Fahrkarte vorher kaufen. Die gibt’s nicht beim Fahrer, gibt’s aber auch nicht hier im Ort sondern in einem anderen, mehrere Kilometer entfernt. Also lass ich es mal drauf ankommen. Als der Bus ankommt, steige ich ein. Niemand fragt mich nach meinem Ticket, also hülle auch ich mich, um nicht ggf. wieder rausgeschmissen zu werden, in ahnungsloses Schweigen und siehe da, ich fahre problemlos „schwarz“ mit bis Cividale. Dort erreiche ich sogar noch einen Anschlussbus nach Udine, diesmal mit ehrlich bezahltem Fahrpreis, und bin so einen Tag früher als gedacht an dem von mir auserkorenen Endpunkt meiner Wanderung angekommen. Den letzten Teil des AAT wollte ich mir ohnehin schenken, da ich ihn aus einem früheren längeren Aufenthalt in Triest schon kenne.

 

Das ganze Projekt AAT war so großartig, vielfältig und erlebnisreich, dass sich ein kurzes Fazit verbietet. Ich will nur sagen, dass ich unendlich dankbar und glücklich bin, dass ich in meinem Alter die Erfahrung einer solchen Wanderung noch ohne Einschränkungen und Beschwernisse machen durfte und mich getraut habe, mich darauf einzulassen, getreu dem Spruch, der mir ganz zu Anfang meiner Wanderung auf dem Archehof begegnet ist:

 

Nicht weil die Dinge unerreichbar sind wagen wir sie nicht.

Weil wir sie nicht wagen, bleiben sie unerreichbar.

Abend-an-der-Ticarjev-HtteAchtung-AmeisenAm-Millsttter-SeeAussicht-vom-TschiernockBurg-FalkensteinDie-lngste-Hngebrcke-KrntensDie-Russische-KapelleDie-Soca-mal-soDie-Soca-mal-soFrhstck-auf-der-GoldberghtteGedenksttte-fr-GefalleneGmndIm-Triglav-NationalparkMlltalblickPfarrkirche-HeligenblutSo-gehts-des-fteren-mal-ber-die-SocaTrenta
17 Fotos
alpe-adria-trail
1192
Berichte

Wege und Ziele

nr66apr24Ausgabe 66, April 2024
nr65nov23Ausgabe 65, November 2023
nr64apr23Ausgabe 64, April 2023
nr63nov22Ausgabe 63, November 2022
nr62april22Ausgabe 62, April 2022
nr61nov21Ausgabe 61, November 2021
nr60apr21Ausgabe 60, April 2021
nr59dez20Ausgabe 59, Dezember 2020
nr58dez19sonderSonderbeilage, Dezember 2019
nr58dez19Ausgabe 58, Dezember 2019
nr57mai19Ausgabe 57, Mai 2019
nr56nov18Ausgabe 56, November 2018
nr55mai18Ausgabe 55, Mai 2018
nr54dez17Ausgabe 54, Dezember 2017
nr53aug17Ausgabe 53, August 2017
nr52apr17Ausgabe 52, April 2017
nr51dez16Ausgabe 51, Dezember 2016
nr50aug16Ausgabe 50, August 2016
nr49apr16Ausgabe 49, April 2016
nr48dez15Ausgabe 48, Dezember 2015
nr47aug15Ausgabe 47, August 2015
nr46apr15Ausgabe 46, April 2015
nr45dez14Ausgabe 45, Dezember 2014
nr44aug14Ausgabe 44, August 2014
nr43apr14Ausgabe 43, April 2014
nr42dez13Ausgabe 42, Dezember 2013
nr41aug13Ausgabe 41, August 2013
nr40apr13Ausgabe 40, April 2013
nr39dez12Ausgabe 39, Dezember 2012
nr38aug12Ausgabe 38, August 2012
nr37apr12Ausgabe 37, April 2012
nr36dez11Ausgabe 36, Dezember 2011
nr35aug11Ausgabe 35, August 2011
nr34apr11Ausgabe 34, April 2011
nr33dez10Ausgabe 33, Dezember 2010
nr32aug10Ausgabe 32, August 2010
nr31apr10Ausgabe 31, April 2010
nr30dez09Ausgabe 30, Dezember 2009
nr29aug09Ausgabe 29, August 2009
nr28apr09Ausgabe 28, April 2009
nr27dez08Ausgabe 27, Dezember 2008
nr26aug08Ausgabe 26, August 2008
nr25apr08Ausgabe 25, April 2008
nr24dez07Ausgabe 24, Dezember 2007
nr23aug07Ausgabe 23, August 2007
nr22apr07Ausgabe 22, April 2007
nr21dez06Ausgabe 21, Dezember 2006
nr20aug06Ausgabe 20, August 2006
nr19apr06Ausgabe 19, April 2006
nr18dez05Ausgabe 18, Dezember 2005
nr17aug05Ausgabe 17, August 2005
nr16apr05Ausgabe 16, April 2005
nr15dez04Ausgabe 15, Dezember 2004
nr14aug04Ausgabe 14, August 2004
nr13apr04Ausgabe 13, April 2004
nr12dez03Ausgabe 12, Dezember 2003
nr11aug03Ausgabe 11, August 2003
nr10apr03Ausgabe 10, April 2003
nr09dez02Ausgabe 09, Dezember 2002
nr08okt02Ausgabe 08, Oktober 2002
Zur Bereitsstellung unserer Dienste verwenden wir Cookies. Wenn Sie nicht damit einverstanden sind, dass Cookies auf Ihrem Rechner gespeichert werden, können Sie dies ablehnen. Möglicherweise werden dann unsere Dienste nicht im vollem Umfang funktionstüchtig sein.