1.800 km durch Mitteleuropa
Der europäische Kulturfernwanderweg „Hugenotten- und Waldenserpfad“ weckt das Interesse an Geschichte wie an Gegenwartsfragen und die Freude am Wandern und auf Kontakte mit anderen Menschen.
In den vergangenen Jahren wurde im Rahmen einer europäischen Partnerschaft ein Kulturfernwanderweg durch die vier Staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Schweiz geschaffen. Er führt „Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser“ – so der Titel der europäischen Kooperation – über eine Streckenlänge von insgesamt etwa 1.800 Kilometern durch die deutschen Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg, durch die Schweiz sowie die Alpen und Voralpen Frankreichs und Italiens.
Hugenotten und Waldenser – der historische Hintergrund
Hintergrund des Kulturfernwanderwegs Hugenotten- und Waldenserpfad ist die Geschichte der Hugenotten und Waldenser, die seit Ende des 17. Jahrhunderts ihre Heimat in Frankreich und im heutigen Italien verließen, weil sie dort aufgrund ihres protestantischen Glaubens verfolgt wurden.
„Hugenotten“ ist die Bezeichnung für die französischen Protestanten, Mitglieder der 1559 gegründete Reformierten Kirche. Ihr Glaube wurde stark von den Lehren Johannes Calvins beeinflusst. Die Hugenotten wurden als religiöse Minderheit in Frankreich im 16. Jahrhundert zuerst verfolgt und dann seit 1598 (Edikt von Nantes) geduldet. König Ludwig XIV. hob 1685 dieses Edikt wieder auf, die darauf einsetzenden Verfolgungen lösten eine Fluchtwelle von etwa einer Viertelmillion Hugenotten in die umliegenden protestantischen Länder aus.
Viele der Flüchtenden zogen zuerst in die Schweiz und dann weiter über Schaffhausen und Basel vor allem auf dem Rhein, aber auch über Land in Richtung Frankfurt am Main, einer wichtigen Drehscheibe der Flüchtlingsströme. Von dort aus erfolgte die Weiterreise in verschiedene deutsche Fürstentümer, in der Mehrzahl nach Brandenburg-Preußen und Hessen-Kassel. Die deutschen Fürsten privilegierten die Vertriebenen mit Steuer- und Zunftfreiheit, selbständigen französisch-reformierten Kirchengemeinden und eigener Rechtspflege.
Die Wurzeln der „Waldenser“ reichen dagegen bis ins Hochmittelalter. Der Lyoner Kaufmann Valdes, später oft als Petrus Waldus bezeichnet, verteilte sein Vermögen an Arme und wurde Wanderprediger.
Im Jahre 1184 wurden die Waldenser als Ketzer verurteilt, ihnen drohte die Inquisition durch die katholische Kirche. Sie mussten von da an um ihr Leben fürchten und konnten ihrem Glauben nur noch im Untergrund nachgehen. Nur in wenigen Gebieten überlebten die Waldenser die nachhaltigen Verfolgungen. Ihr wichtigstes Zentrum waren einige Bergtäler in den Cottischen Alpen im Grenzgebiet zwischen Frankreich und dem Herzogtum Savoyen.
Im Jahr 1698 wurden alle Waldenser, die französischer Herkunft waren, ausgewiesen; viele zogen über die Schweiz nach Württemberg und Hessen. Dort mussten sie unter zum Teil sehr harten Bedingungen ihr wirtschaftliches Überleben als Bauern in widrigen Lagen meistern. Die Waldenser, die Untertanen des Herzogs von Savoyen gewesen waren, konnten in den Cottischen Alpen bleiben. So gibt es bis heute in Italien eine Waldenserkirche.
In den deutschen Fürstentümern wurden beide Gruppen von Glaubensvertriebenen längst nicht allein aus Gründen der christlichen Nächstenliebe willkommen geheißen: Deutschland lag nach dem Dreißigjährigen Krieg in weiten Teilen danieder und die Territorialherren erhofften sich von den Zuwanderern vor allem ökonomische Vorteile. Gerade auf wirtschaftlichem Gebiet brachten die Hugenotten in der Tat manche Neuerungen, die in Verbindung mit dem aufkommenden Merkantilismus und dem Manufakturwesen die wirtschaftliche Entwicklung vorantrieb: Beispiele dieses frühen „Technologie-Transfers“ liegen vor allem im Bereich Textilverarbeitung (Strumpfwirkerei, Hutmacherei und Seidenherstellung), aber auch im Buchdruck, im Uhrmacherhandwerk, im landwirtschaftlichen Sektor (Kartoffel- und Tabakanbau, Futterklee), in der Konditorei und in der Architektur. So gab es manche wichtige Impulse, die zur Wiedererstarkung der wirtschaftlichen Entwicklung beitrugen.
Anders war es mit der Ansiedlung der Waldenser: diese oft bitterarmen Bauern konnten kaum erfolgreiche Wirtschaftszweige einführen, sieht man einmal vom Kartoffelanbau und der Maulbeerseidenherstellung ab.
Die Integration der Zuwanderer erfolgte meist nur langsam. Dies hat aber zur Folge, dass bis heute die Spuren der Ansiedlung der Waldenser und Hugenotten sichtbar geblieben sind. Vielerorts erzählen Museen und Ausstellungen von ihrer Geschichte. Kirchliche Traditionen und die oft auffällige städtebauliche Erscheinung der „Kolonien“ vermitteln besondere kulturgeschichtliche Aspekte. Viele Menschen tragen bis heute die französischen und italienischen Namen ihrer Vorfahren und suchen bewusst nach ihren familiären Wurzeln. So kommt man vor Ort leicht ins Gespräch über die lange Geschichte der Flucht und des Ankommens in fremder Kultur.
Die Themen Exil, Migration und Integration begleiten das gemeinsame kultur- und wandertouristische Projekt „Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser“. Weil diese Themen gleichzeitig bedeutende Zukunftsfragen für Europa beinhalten, regt der Kulturfernwanderweg zur Beschäftigung mit entsprechenden Fragestellungen an und soll zu einer positiven Weiterentwicklung unseres Europa-Bewusstseins beitragen.
Projektrahmen und Partner
Das Kooperationsprojekt „Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser“ ist aus einer 1998 gebildeten Partnerschaft von hessischen und französischen ländlichen Regionen im Rahmen einer EU-Strukturförderung für ländliche Räume hervorgegangen. Heute tragen die folgenden Einrichtungen aus vier Staaten dieses gemeinsame Vorhaben:
- Der deutsche Trägerverein „Hugenotten- und Waldenserpfad“ e.V. mit Sitz in Neu-Isenburg,
- die schweizerische Stiftung VIA mit Sitz in Bern,
- das Waldensische Kulturzentrum in Torre Pellice in Italien und
- der französische Trägerverein „Sur les pas des huguenots“ mit Sitz in Die.
Diese Einrichtungen haben sich verpflichtet, gemeinsam zur Verwirklichung, Pflege und lebendigen Gestaltung des Kulturfernwanderwegs beizutragen: mit einer gemeinsamen Werte- und Qualitätscharta, einem Corporate Design, mehrsprachigen Informationsblättern und einer internationalen Internet-Präsentation. Darüber hinaus werden verschiedene Veranstaltungen gemeinsam durchgeführt.
Der Kulturfernwanderweg greift nicht nur viele Facetten unseres europäischen Kulturerbes in Wirtschaft, Gesellschaft, Kirche und Kultur auf. Er bietet darüber hinaus auch Chancen für den Wandertourismus und die touristische Entwicklung der Städte und Gemeinden an seinem Verlauf und die Chance, das gemeinsame kulturgeschichtliche Erbe für eine zukunftsfähige Entwicklung zu nutzen. Die Hauptziele des Projektes sind:
- Die Bewusstmachung und Vermittlung des kulturellen Erbes der Hugenotten und Waldenser zur Förderung der regionalen Identität und Stärkung der touristischen Attraktivität,
- die Schaffung eines internationalen Kulturfernwanderwegs zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung,
- die Einbindung neuer Projektpartner zur Ausweitung der Kooperationsmöglichkeiten,
- die Inwertsetzung des gemeinsamen Kulturerbes durch die Anerkennung als «Europäischer Kulturweg» durch den Europarat.
Das gemeinsame Design drückt die gegenseitige Verbundenheit der europäischen Partner aus: eine blaue Scheibe auf einer leicht gewellten grünen Linie, auf der eine Figur mit Hut und Stab positioniert ist. Die Scheibe geht auf den sogenannten „méreau“ zurück, ein Zeichen als Beweis für tadellosen Lebenswandel, das eine Teilnahme am Abendmahl ermöglichte; die Figur ist einer zeitgenössischen hugenottischen Abbildung entnommen. Die grüne Linie schließlich steht als landschaftliches Symbol für den Wanderweg durch Süd- und Mitteleuropa.
Das Logo des Vereins ist als Wort- und Bildzeichen geschützt. Es wird in dem entlang des Weges angebrachten Markierungszeichen in vereinfachter Form als blaue Scheibe mit grüner Linie wieder aufgenommen.
Der Trägerverein in Deutschland leistet mit Themenwanderungen, Ausstellungen, Kulturveranstaltungen und der Herausgabe von Kartenmaterial eine breite Öffentlichkeits- und Informationsarbeit. Er übernimmt weiterhin eine beratende und vernetzende Unterstützung von Vereinsmitgliedern, zum Beispiel bei der Einrichtung des Wanderwegs und seiner Vermarktung und bei der Förderung des Wanderns als Kultur- und Naturerlebnis.
Mitglieder des Vereins können natürliche und juristische Personen sowie Personenvereinigungen werden. Auf diese Weise ist ein dichtes Netz von lokalen Akteuren entstanden, die vor Ort dazu beitragen, dass der Weg markiert, das wandertouristische Angebot gestärkt und das Kulturerbe der Hugenotten und Waldenser in das öffentliche Bewusstsein getragen wird. Ohne diese örtliche Verankerung wären die Realisierung und eine dauerhafte Zukunft des Weges nicht möglich. Deswegen bemüht sich der Trägerverein um eine lebendige Vernetzung der Partner entlang des Weges: Durch ihr gemeinsames Auftreten, gemeinsame Aktionen und eine gemeinsame Werbung bilden sich Kultur-Wander-Erlebnisräume, in denen das Kulturerbe auf vielfältige Weise entdeckt werden kann.
Die Route des Kulturfernwanderweges
Der Verlauf des neuen Weitwanderwegs richtet sich nach den tatsächlichen historischen Flucht- und Wanderwegen. Der Charakter des historischen Weges ändert sich allerdings im europäischen Maßstab: Während sich die hugenottischen Flüchtlinge im französischsprachigen Gebiet teilweise heimlich fortbewegen mussten, wurden in der Schweiz und den deutschen Territorien öffentliche Wege und allgemein verfügbare Transportarten genutzt.
Viele der Flüchtigen kamen zu Fuß, etliche fanden erst nach verschiedenen Stationen eine endgültige neue Heimat. Aus der Flucht wurde Schritt für Schritt und oft über Jahre dauernd ein wirkliches Ankommen.
Von dem Ort Poët-Laval im südfranzösischen Departement Rhône-Alpes sowie von Torre Pellice im italienischen Piemont führt der Weg durch Savoyen bis Genf, weiter durch die Schweiz entlang der Aare über Schaffhausen nach Deutschland.
Dort geht es durch Hegau und Baar ein Stück entlang des oberen Neckars nach Norden in den Schwarzwald. Hier macht der Weg von Calw aus einen Bogen durch das Heckengäu, zieht in den Kraichgau und dann weiter nach Norden in den Odenwald. Von dort geht es weiter über das Rhein-Main-Gebiet und die hessischen Mittelgebirge bis zum Endpunkt, der Hugenottenstadt Bad Karlshafen an der Nordspitze Hessens.
Über die lange Strecke durchquert der Fernwanderweg unterschiedliche Kultur- und Naturlandschaften, der „rote Faden“ – die Geschichte der hier vor über 300 Jahren entlang gezogenen Flüchtlinge - tritt dabei immer wieder mit großer Deutlichkeit vor Augen. Und so ergibt sich manches Gespräch, das unweigerlich von der Geschichte in die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart hinein zielt.
Ausblick
Die deutsche Strecke des europäischen Kulturfernwanderwegs „Hugenotten- und Waldenserpfad“ ist inzwischen offiziell eingeweiht. Ohne die zahlreichen Rundwege, die zu sehenswerten Kulturerbestätten abseits der Hauptroute führen, können Wanderer nun auf 1.000 km dem Markierungszeichen zwischen Bad Karlshafen und Schaffhausen folgen.
In Frankreich und Italien sind ebenfalls bereits größere Strecken markiert, Kartenmaterial und Routenführer vermitteln interessantes Begleitwissen. Für die Schweiz ist mit einer Markierung 2013 zu rechnen.
Der Trägerverein wird weiterhin die Aktivitäten seiner Mitglieder entlang des Weges unterstützen und die Auszeichnung von Waldenser-Gaststätten und –Herbergen mit besonderen Angeboten und Ambiente fördern. Gezielte Veröffentlichungen in der Fachpresse sowie die Herausgabe von thematischen regionalen Routenführern mit wander-tauglichem Maßstab und eines Wanderpasses stärken das wandertouristische Interesse.
Praktische Hinweise
Informationen über das internationale Vorhaben sind im Internet unter www.surlespasdeshugenots.eu zu finden. Der deutsche Trägerverein präsentiert sich unter www.hugenotten-waldenserpfad.eu. Über die Adresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! kann man Anfragen zur Wegführung, Kartenherausgabe und zu den Vereinsaktivitäten stellen, sowie Informationsmaterial erhalten.
Fotos: Dr. Renate Buchenauer - Hugenotten und Waldenserpfad e.V.