Auf dem GR 12/12a (E 3) von Paris in die Picardie
„C´est l´été“ - „Das ist der Sommer“, titeln die französischen Zeitungen Mitte April und sie haben Recht. Während meiner vorösterlichen Wanderwoche auf dem GR 12 werde ich - trotz Passionszeit – mit 25 Grad Celsius, azurblauem Himmel und andauernder Trockenheit verwöhnt. Ideale Bedingungen, um laufen und zelten zu gehen, um wieder mal durch Frankreichs Hinterhöfe zu streunern.
Und das in einer scheinbar unspektakulären Region: Nordöstlich von Paris startet der Weg beim Chateau de la Reine Blanche, nahe Orry-la-ville, am Rand der Ile-de-France. Viele Kilometer später erreicht der GR 12 Brüssel, der Europa – Gedanke ist also schon lange vor der heutigen Diskussion in die Tat umgesetzt. Diesen Umstand nutzt auch der Europäische Fernwanderweg 3, den der GR 12 von Paris bis Montcornet, kurz vor der Maas, Huckepack nimmt. Es sei vorweggenommen: nicht eine einzige „E 3“ – Markierung findet sich während der sieben Wandertage.
Macht aber nichts, weil mich das vertraute blanc-rouge der GRs (zusammen mit den hervorragenden 1:25 000 IGN – Karten), nach einer sehr angenehmen Schlafwagenfahrt Hamburg – Paris, bereits morgens um 9:30 Uhr sicher auf die Schneise stellt. Schneisen, die mich die kommenden vier Tage durch königliche Wälder führen, an unzähligen poteaus ( Wegweisern) vorbei, die im Schnittpunkt von häufig sechs, sieben Wegen stehen und klar machen, das es den Kreisverkehr in Frankreich nicht erst seit gestern gibt. Der GR 12/12 a durchstreift auf diesen Blickachsen viele großen königlichen Wälder: Der Foret de Chantilly - macht seinem Namen als Hochburg des französischen Pferdesports alle Ehre mit spargelanbauähnlich geeggten Schneisen, ausschließlich den Trabern vorenthalten. Hier kreuzt der Wanderweg allenfalls, der Gleichlauf ist tatsächlich nicht gestattet. Der Foret d´Halatte - bietet mit dem Mont Pagnotte den höchsten Punkt der Tour, stolze 216 m. (Immerhin höher als jeder Punkt Schleswig-Holsteins, wo bei 167 m Schluß ist). Der Wechsel hinüber in den Foret de Compiègne: St.-Jean-aux-Bois mit alter Stadtmauer, Kloster und Bürgerhäusern in verwunschener Waldlage unweit von Pierrefonds, des Oberzentrums der Region, mit Schloß, Park und allen Versorgungseinrichtungen. Außerdem steht im Compiégner Wald bis heute der Eisenbahnwagon, in dem 1918 und 1940 die beiden Waffenstillstände zwischen Deutschen und Franzosen unterzeichnet wurden. Seltsamerweise passiert der GR 500 m am Rond Point de l´armistice (Platz des Waffenstillstands) vorbei, auch im Topo – Guide keine Erwähnung des historischen Ortes.
Hier im Compiégner Wald trennen sich die GR – Varianten 12 und 12 a. Um weiter durch Wälder zu wandern, wähle ich den 12 a, der weit nach Norden ausgreift und den 12er erst südlich von Laon wiedertrifft. Mit Überschreitung des Flüsschens Aisne führt die Tour auf das Plateau zwischen Aisne und Oise, welches im Osten von der Thiérache – Ebene begrenzt wird.
Bei weiterhin herrlichem Wetter lässt der körperlich nicht zu anstrengende Weg genügend Zeit und Muse, sich den zwei wichtigsten Sakralbauten der Umgebung zu nähern: den ältesten gotischen Kathedralen Frankreichs. Senlis ist um 1140 fertiggestellt, während das Meisterwerk von Laon 1155 Kirchweih feierte. Es ist diese Region, von der aus die Gotik ihren Siegeszug antritt. Vor allem der Meisterbau von Laon ist heute noch Anschauungsobjekt für Kunstgeschichtler und war zugleich Vorbild für die Kathedrale Chartres´. Als interessierter Laie bestaune ich die hoch aufragenden Türme und Kirchenschiffe und kann Gotik anhand der spitz zulaufenden Bögen festmachen. Daß der neue Baustil im Vergleich zur romanischen Bauweise aber geradezu revolutionär war, erlese ich mir: Fenstergestaltung, Aufhebung der Wände als statische Notwendigkeiten, neue Raumstrukturen und die sagenhaft schönen Decken - Vierungen. Dies alles lässt sich in der sehr gut erhaltenen historischen Oberstadt von Laon entdecken und genießen. Ein muss für alle, die die Region bereisen.
Zurück zum Wandern, bzw. zum Rasten: es erweist sich wieder einmal als völlig problemlos, in freier Natur zu zelten. Selbst in einer zu 99 % kultivierten Agrarlandschaft wie hier. Natürlich nehme ich nach drei Tagen gerne die sanitären Einrichtungen eines camping municipal in Anspruch, oder übernachte einmalig ( und als einziger ) in einer Gite d´étape. Mit das Schönste ist trotzdem: nach dem Wandern, mit frisch eingekaufter Verpflegung, einen guten Platz zu finden (blickgeschützte Wiese am Waldrand, Aussicht nach Westen); Zelt aufbauen, kochen – essen und hernach satt, zufrieden und glücklich die Etappe des nächsten Tages studieren. Bereits mit Einbruch der Dunkelheit in die Schlafsack-Federn kriechen und für Körper und Geist erholsame 9 – 10 Stunden schlafen, gestört nur durch rufende Käuzchen (enervierend), kruschbelnde Igel (laut) oder bellende Hirschkühe (sehr laut). Der nächste Morgen sieht mich früh und nach Kaffee ist in 30 Minuten alles, was sich breit gemacht hatte, wieder auf kleinstem Maß im Rucksack verstaut. Außer einigen bis mittags wieder aufgerichteten Grashalmen, deutet nichts mehr auf die temporäre Landnahme hin, spurloses Verschwinden die Folge. Wie bei jeder längeren Tour empfinde ich auch heuer die Wohltat der Nichterreichbarkeit. Ohne Mobiltelefon bin ich ausschließlich Sender ( von Postkarten ), aber kein Empfänger.
Nach den Wäldern überquert der Weg oben genanntes Plateau, das immer wieder von 100 bis 150 Höhenmeter tief eingeschnittenen vallons unterbrochen wird. Kleine Städtchen reihen sich aneinander, die Kirchtürme wie immer als erstes zu sehen. Auf dem Plateau selbst: Weideland soweit das Auge reicht, vereinzelt liegende Höfe, Sonne und Wind. 30 km vor Laon überquere ich den Kanal Oise – Aisne und halte auf Couzy-le-Chateau zu, das bereits von weitem - auf einem Bergsporn gelegen - zu sehen ist. Bis zum Rückzug der deutschen Armee im WK I war der Ort das best erhaltene Zeugnis mittelalterlicher Festungsbaukunst in ganz Frankreich. Die Politik der verbannten Erde ließ eine zerschossene Stadtanlage zurück. Als unbelesener Tourist ist man geneigt, die Zerstörung wesentlich früher anzusiedeln bzw. sie als natürlichen Verfallsprozeß wahrzunehmen.
Nach Couzy und einer letzten Übernachtung in Suzy erreiche ich am Ostersamstag den Ort Mons-en-Laonnois. Von hier aus genieße ich zum ersten Mal den Ausblick auf den sechs Kilometer entfernten Stadthügel, der die Oberstadt Laons trägt. Das Ziel nach sieben sonnigen Wandertagen vor Augen !
Bleibt eine Etappenlücke auf dem E 3 von Laon an die Maas kurz vor der belgischen Grenze, um von Paris nach Konnersreuth gelaufen zu sein. Auch eine Art Pilgerweg.
Praktische Hinweise
Literatur
Topo – Guide FFRP: „GR 12/12a Ile-de-France - Ardennes - (Orry-la-Ville – Montcornet/Sorendal/Belgische Grenze)“, 3. Auflage 1985 leider vergriffen
Topo – Guide SGR
GR 12 Troncon Belge: Bruxelles – Montcornet, 3. Auflage 1999, lieferbar
Landkarten
IGN TOP 25: Blätter 2412 OT Foret de Chantilly und 2511 OT Forets de Compiègne, restliche Strecke mit den Karten im Topo Guide
Streckenlänge
ca 145 km
Markierung
weiß-roter Balken, viele Schilder, sehr gut in Schuß
Übernachtung
für Nicht-Zelter gibt es ausreichend Gasthäuser und Chambres d´hotes. Information unter www.picardie.fr oder www.fivedit.fr