Im Oktober 2005 sind meine Frau und ich sechs Tage auf dem Rheinsteig unterwegs gewesen. Wir waren anschließend voll des Lobes. Das durchwanderte Gebiet ist keine unproblematische Gegend; es ist unzweifelhaft schön, aber auch mit Vorurteilen verschiedenster Art belastet. Zu diesem problematischen Erbe gehört der „Geist“ des 19. Jahrhunderts mit seiner Burgenromantik und nationalen Tönen vom „deutschen Fluß, der nicht Deutschlands Grenze“ sei. Aber ich weiß, auch Engländer haben an der Entstehung des in den Köpfen verankerten Bildes von heroischer Landschaft und Rheinidyllen mitgewirkt. Selbst auf Franzosen wie Victor Hugo oder Rimbaud hat der Fluß faszinierend gewirkt, und in Japan scheint die Loreley noch populärer als in Deutschland zu sein. So ist eine Rheinwanderung keine Expedition in ein Neuland; am Rhein ist schon lange vor uns gewandert worden und es existiert ein dichtes Wegenetz. Kann man also heute am Rhein noch etwas entdecken? Man kann.
Der neue „Rheinsteig“ ist den Wanderinnen und Wandern im September 2005 offiziell übergeben worden. Die Planungsvorbereitungen und die Umsetzung in der Örtlichkeit haben mehrere Jahre gedauert. Die Trasse konnte schon 2004 aus dem Internet heruntergeladen werden. Doch 8000 Schilder anzubringen dauert seine Zeit. An einigen Stellen werkelten im Herbst 2005 noch Handwerker an Geländern und Brücken. Die Grundausstattung aus hergerichteten Wegen, einer perfekten Beschilderung, einer Faltkarte, zwei Führern (einer in Nord-Süd-, der andere in Süd-Nord-Richtung) und einem Unterkunftsverzeichnis liegt vor. Auch die Medien-Trommel ist schon fleißig gerührt worden.
Der Weg und seine Aufbereitung hat ein Vorbild: den Rothaarsteig im Sauerland. Wie beim Rothaarsteig ging die Initiative von den Fremdenverkehrsverantwortlichen und staatlich-halbstaatlichen Stellen aus. Bei beiden Wegen gab es hohen Koordinierungsaufwand, nicht zuletzt, weil jedesmal der Weg über mehrere Bundesländer geht. Beide Wege haben gleiche „geistige Väter“; eine wichtige Rolle spielte der Marburger Professor Rainer Brämer und das von ihm geleitete Deutsche Wanderinstitut. Der von Brämer und seinen Mitarbeitern konzipierte und formalisierte Qualitätsstandard führte zu dem Etikett „Premiumweg“, das der Rheinsteig auch nach meiner „unsystematischen“ Einschätzung verdient hat. Sprachlich wird noch eins zugelegt; der Weg wird verkauft mit dem Slogan „Wandern auf hohem Niveau“.
Der Rheinsteig reicht von Bonn bis Wiesbaden; er bleibt nur auf der rechten Rheinseite. Wie beim Rothaarsteig gibt es ein „Rückgrat“, den Hauptweg, und dazu die auch etwas anders markierten „Zubringerwege“. Das erlaubt das Zusammenstellen von individuellen Touren und ist hilfreich für Tagesausflügler. Besonders die Bahnhöfe im Tal, ebenso die Schiffsanlegestellen oder große Parkplätze in Dörfern auf der Hochebene sind Ausgangspunkte der Zubringerwege.
Der Weg ist vielseitig. Er ist deutlich für Wanderer trassiert, so trafen wir auch kaum Mountainbiker. Der Weg fordert die Wanderer; er hat viele Steigungen. Die Überwindung von 800 Höhenmetern pro Tag ist normal, bei der Etappe Ehrenbreitstein Braubach standen 1200 m an. Ein bayerischer Wanderer, den wir unterwegs trafen, lobte Weg und fand ihn sogar anstrengend. Der Weg ist nahezu perfekt markiert, aber es heißt aufpassen. Es ist kein Weg zum Dahintrotteln, das ist nicht angesagt oder man hat leicht die ins Grüne abgebogene Fortsetzung verpaßt. Wenn wir vom Rheinsteig abkamen, geschah das immer dann, wenn der alte mit einem „R“ gekennzeichnete und meist „gerade“ verlaufende Rheinhöhenweg in eine befestigte Ortsstraße überging, der Rheinsteig dagegen fast unbemerkt sich „seitlich in die Büsche schlug“.
Zu einen Weg dieses Anspruches gehören nicht nur eine intelligente Trassenwahl und eine zuverlässige Markierung, sondern auch weitere Wanderhilfen wie Informationen über mögliche Unterkünfte und das Organisieren von Führern und Karten. So gibt es für den Rheinsteig eine gute, von den staatlichen Vermessungsämtern mit dem Projektbüro Rheinsteig gemeinsam herausgebrachte Karte im Maßstab 1:50.000. Sie ist zweisprachig und pfiffig aufgeteilt und gefaltet und zeigt auch die anderen Wege im Rheintal und auf der andern Flußseite. Das ist gut, aber bei dem „Gewimmel“ von Wegen an der „Hangkante“ kann nicht immer nachvollzogen werden, welches in der Karte dargestellte Wegstück zu welchem Fernwanderweg gehört. In der Örtlichkeit ist das dann kein Problem, die Markierungen vom Rheinsteig sind unübersehbar und dominieren alle anderen Wegsysteme. Für die Markierung ist ein schönes Logo entwickelt worden; es ist intelligent gemacht. Es kann sowohl als Abbild des Rheintales mit dem sich windenden Fluß gesehen wie als ein stilisiertes „R“ für „Rheinsteig“ gelesen werden.
Wie gesagt, der Weg ist so gut ausgeschildert, daß man eigentlich auch ohne einen Führer auskommen könnte, aber es gibt, wie erwähnt, inzwischen bereits zwei Führer. Praktische Bedeutung haben die Führer für die Planung von Etappen. Die Führer machen Angaben für die zu veranschlagende Dauer zwischen Einzelstrecken. Denen kann man vertrauen und sich kürzere oder längere Tagesetappen zusammenstellen, gerade weil das Übernachtungsangebot entlang des Weges solche Freiheiten erlaubt.
Der Führer in Wanderrichtung Süd ist beim Verlag Idee Media, Neuwied in der Serie „Ein schöner Tag - kompakt“ herausgekommen (ISBN 3-934342-41-8. Preis 12.95 €). Andere Veröffentlichungen des Verlages tragen so schöne wie unverbindliche Namen wie NaturTOUREN, BadeTOUREN, oder FamilienTOUREN. Die Autoren des Rheinsteig-Führers sind Renate und Olaf Goebel. Sie pflegen eine neckische muntere Sprache. Sich über ihren Aufforderungs-Tonfall zu mokieren, ist vielleicht ein falsches und ungerechtes Urteil von mir, die Wahl eines solchen Sprachduktus und der reichen Bebilderung und des vielfarbigen Layouts sind heute vorausgesetzte Bestandteile beim „Werben“ für ein Tourismus-Produkt und zum Wandern allgemein. Dieser Führer enthält auch die GPS-Daten der Wegweiser an Kreuzungen und Wegegabelungen. Doch bei der guten Markierung läßt mich das Mitnehmen dieses Gerätes eher an das Ausführen eines Hundes oder teuren Pelzmantels denken.
Die zweite Veröffentlichung mit dem Titel „Abenteuer Rheinsteig“, die den Wanderer flußabwärts von Süden nach Norden begleitet, ist vom Görres Verlag in Koblenz in Kooperation mit „pepper“, dem Veranstaltungsmagazin der Rhein Main Presse Mainz, herausgebracht worden. (ISBN 3-935690-42-8. 12.80 €). Dieser Führer enthält auch Kartenskizzen. Er ist größer und dicker und somit auch deutlich schwerer. Drei Autoren sind im Kopf genannt; auch hier ist bei der Sprache ihre journalistische Herkunft unüberlesbar. Unterwegs werden die Wanderer kräftig an die Hand genommen und ihnen immer und immer wieder gesagt, wann abgebogen werden soll oder der Weg eine Kehre macht. Das im Titel versprochene „Abenteuer“ bleibt da fast aus. Doch zielen solche Begriffe wie die gesamte Aufmachung eher auf Menschen ohne Wandererfahrung und sollen sie ermuntern, eine mehrtägige Tour zu machen.
Es wird viel geplaudert, wichtiges und unwichtiges („Im Kurort Schlangenbad fühlten sich schon Adelige und Diplomaten wohl“) erwähnt und auch manches doppelt berichtet. Verwendete Fach-Begriffe sollte man nicht auf die Goldwaage legen, daß z.B. die Mönche von Kloster Eberbach eine „eigene Flotte von drei Schiffen“ besaßen oder eine Burg der Herren von Scharfenstein deren „Regierungs- und Stammsitz“ war. Ausdrücklich zu loben ist das Interesse der Autoren an der Deutung von Namen. Sie erwähnen zum Beispiel, daß das Siebengebirge kaum nach sieben Bergen benannt wurde, sondern der Name von den „Siefen“ herzuleiten ist, das sind tief eingeschnittene Trockentäler, in Westfalen heißen sie „Siepen“. Bei der Namenserklärung des Lurley, so hieß der Fels bis zum frühen 19. Jahrhundert, dessen zweiter Namens-Bestandsteil Ley = Stein, Felsen, Schiefer am Rhein häufiger vorkommt, halten sich beide Führer zurück und verweisen auf das Besucherzentrum mit Erlebnismuseum.
Eine weitere Hilfe ist das kostenlos erhältliche sog. Gastgeber-Verzeichnis. Es ist quasi die Klammer für beide Führer, für beide Veröffentlichungen gibt es hier Anzeigen. Auf der TourNatur in Düsseldorf im September 2005 war bei den Übernachtungsangeboten von „geprüfter Rheinsteig-Qualität“ gesprochen worden. Wir fanden das Hotelangebot eher gemischt. Hervorzuheben war die freundliche persönliche Stimmung in den Hotels und Gasthöfen. Die Wirte berichteten, selbst von Resonanz des Rheinsteigs völlig überrascht zu sein. Mir wurde berichtet, daß zu einer Info-Veranstaltung des Rheinsteig-Projektbüros im nördlichen Abschnitt nur zwei Hoteliers gekommen seien. Jetzt dürfte der Boden bereitet sein. Mir scheint das Gastgeber-Verzeichnis überarbeitungsbedürftig; es sollte nicht dicker, sprich schwerer werden, aber hinsichtlich der Informationen deutlicher auf die Wandergäste bezogen sein. Das Verzeichnis enthält bei weitem nicht alle Beherbergungsbetriebe am Weg; es beruht auf kostenpflichtigen Eintragungen und Selbstdarstellungen. Nur so ist zu erklären, daß eine teure Hotellerie aus St. Goar von der anderen Rheinseite dort ausführlich vertreten ist.
Was erwartet ein Wanderer von Hotels: Ein generelles Willkommen trotz möglicherweise schmutziger Füße; ein Abhol-Angebot, wenn man die Länge einer Etappe unterschätzt hat? Wird mit solchen Angeboten Mißbrauch getrieben oder ist das ein Taxi-Thema? Ein hilfreicher Service sind Möglichkeiten zum Trocknen von nasser Kleidung und insbesondere von nassen Schuhen, Leih-Pantoffel, um ins Restaurant zu gehen. Ansonsten sind Wanderer Menschen wie du und ich und genau so unterschiedlich.
Ein heikles Thema ist die Ruhe in den Hotels. Der Wanderer ist über Stunden durch große Stille spaziert. Dann ist es ein Schock, wenn nachts der Güterzug direkt neben dem Bett zu fahren schien. Das war nicht Nachlässigkeit der Wirte, sondern ist ein schwieriges städtebauliches Erbe, weil im 19. Jahrhundert die Bahnen unmittelbar an die historischen Stadtkernen vorbeigeführt wurden. Aber auch da sind in einzelnen Häusern mit baulichen Aufwendungen erstaunliche Ergebnisse erzielt worden.
Als wir im Herbst 2005 unterwegs waren, sind wir von Rengsdorf bei Neuwied bis kurz vor die Loreley gewandert. Wir sind dann von St. Goarshausen mit der Bahn über Koblenz nach Neuwied zurückgefahren, haben den Bus bis Sayn benutzt und sind eine knappe Tagesetappe bis zu unserem Auto in Rengsdorf zurückgewandert. Wir hatten dabei das Vergnügen, auch einmal „rückwärts“ zu gehen, was mit der immer wieder spannenden Erfahrung verbunden ist, an was erinnern wir uns, was kommt demnächst, was ist andersherum eine Überraschung, ist ein „bekannter“ Weg kürzer?
Ich wiederhole noch einmal, es machte wegen der Vielseitigkeit der Landschaft einfach Spaß hier zu wandern. Es ist meist eine Überraschung, welches neue Landschaftsbild auf dem Rheinsteig Tag für Tag folgt. Wir kennen nur das Neuwieder Becken und nördliches Mittelrheintal. Über die ganze Strecke kommt man noch durch weitere sehr unterschiedliche Landschaftstypen: das Siebengebirge, den südlichen Abschnitt des engen Rheintales, dann die weite Landschaft von Rheinhessen. So hat der Rheinsteig über die ganze Länge einen „drive“, der Wanderer weiterzieht.
Wir trafen andere Wanderer, auch viele Tagesausflügler und das begründet mein Urteil, daß der Weg eine gute Resonanz gefunden hat. Wir wurden auch von Einheimischen auf unsere Wandererfahrungen angesprochen und bekamen mitgeteilt, daß sie auch schon mehrere Etappen in ihrer Umgebung gewandert seien.
Im mittleren Abschnitt geht es hoch und runter. Beim Abstieg hat man manchmal einen Ort praktisch in der Vogelperspektive vor sich. Dann kommt der Aufstieg, oft an einer Burg vorbei. Von dort wurde früher das Tal kontrolliert, bewacht und ggf. gesperrt. Die Burgen sind gebaute Machtgesten. Die Mautstelle auf dem Weg zum Meer auf einer französischen Autobahn sieht nicht so ästhetisch aus wie die Pfalz auf der Rheininsel bei Kaub, und heute geht Bedrohlichkeit eher von elektronischen Lesegeräten aus.
Von dem von den Wegemachern evoziertem „hohen Niveau“ blickt der Wanderer oder die Wanderin immer wieder mit Neugier in den Talboden herunter. Die Schiffe lenken als erste den Blick auf sich. Sie gleiten ruhig allein über das Wasser oder sind locker zu kleinen Ketten oder enger zu Schub-Verbänden aneinandergefügt. Die Orte am gegenüberliegenden Ufer entfalten ihre Individualität durch Kirchen oder besondere Nutzbauten, Wohnhäuser sind groß wie Spielzeug, die Züge gleichen schnellen Raupen. Die von der Sonne beschienenen steilen Hänge erlaubten hier seit dem Frühmittelalter den Anbau eines „Kultgetränkes“. (Auch westfälische Klöster bemühten, sich in den Besitz von ein paar Weinbergen zu kommen. Auch da gibt es inzwischen Konkurrenz vom Mittelmeerraum oder der Südhalbkugel.)
Der Weg ist nicht vorrangig auf Besichtigungen von historischen Bauwerken angelegt. Es gibt Objekte an der Strecke, die man einfach gesehen haben sollte. Die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz oder die Marksburg bei Braubach sind solche Objekte. Das passen auch gut in die Etappenplanung. Andere Burgen am Weg sind eher unzugänglich.
Verkehrslärm dringt vom Talgrund herauf; meist sind es die Züge, manchmal auch von Gewerbebetrieben. Es gibt erstaunlich stille Nebentäler. Jede Möglichkeit von unbefestigten Wegeabschnitten wurde von den Wegemachern genutzt. Der Anteil an befestigten Strecken vernachlässigend minimal; also wirklich: Premium! Zum Teil wurden Wege in Form von Trampelpfaden durch Wandstücke frisch angelegt.
Es war viel „geholzt“ worden, d.h. an markanten Stellen Bäume und Büsche beseitigt worden, um eine freie Sicht ins Tal zu haben. Auch das gehört zur Landschafts- bzw. Weginszenierung. Hier wird deutlich, daß bei der „Wegemacherei“ ganz entscheidend Landschaftsplaner beteiligt waren. Aber solche „Inszenierungen“ bedürfen auch der kontinuierlichen Kontrolle und Nacharbeit. Hier wird sich erweisen, ob der Anspruch nachhaltig aufrecht erhalten bleibt.
Wir kamen durch größere Buchenbestände, z.T. gemischt mit Eichen; nur wenige Abschnitte führen durch Nadelwald. An den der Mittags- oder Nachmittagssonne ausgesetzten Hängen stießen wir auf Robinien, z.T wild-malerisch von Lianen überwuchert. Eßkastanien zeigen, wie klimatisch herausragend die durchwanderte Gegend ist. Auf der Hochebene geht der Weg an Feldern vorbei. Wenn die Rheinsteig-Werbung von „unberührter Natur“ spricht, ist das landschaftsgeschichtlich gesehen ziemlicher Blödsinn, aber die Leute glauben das vielleicht sogar.
Noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Wegemacherei. Natürlich wäre eine gründliche Überarbeitung des Rheinhöhenweges denkbar gewesen. Das wäre ein interessantes Exempel für die Regenerationsfähigkeit von deutschen „Traditionswegen“ gewesen, denn in der Realität ist der Rheinsteig ein renovierter Rheinhöhenweg. Die Trasse ist dort, wo es möglich war, näher an die „Hangkante“ herangerückt worden. Es ist ein Weg „über die Höhen“, kein Weg entlang des Flusses oder „auf halber Höhe“ parallel zum Fluß z.B. durch die Weinberge. Einige Streckenabschnitte haben eine neue Doppelmarkierung mit dem „ weg“. Auch der „Limeswanderweg“ des Westerwaldvereines läuft häufiger parallel. Es ist ein neuer Weg zu den bestehenden „Themenwegen“ gekommen, es hat keine „Flurbereinigung“ zugunsten einer neuen wanderfreundlichen Haupttrasse gegeben.
Die Raum-Verhältnisse des Mittelrheintales sind faszinierend und schwierig. Der Fluß war seit vorgeschichtlicher Zeit eine „Verkehrs- und Entwicklungsachse“ von europäischer Bedeutung. Seit dem 19. Jahrhundert sind neue Transportformen und Verkehrsbänder, Eisenbahnen auf beiden Uferseiten und die ebenfalls stark ausgebauten Bundesstraßen dazugekommen. Durch technisch aufwendige Ortsumgehungen ist in letzter Zeit den Anwohnern geholfen worden. Wir waren angenehm überrascht, wie ruhig es in einem Hotel in Ehrenbreitstein direkt an der Bahnlinie war. Doch anderswo sind soziale Erosionen in den kleinen historischen Zentren unübersehbar, sind die, die es sich leisten konnten, z.B. auf die Hochebene gezogen. Für den Wanderer sind trotz schöner Wegeabschnitte die Bausünden der letzten Jahrzehnte unübersehbar: große ungeschlachte Baukörper für Freizeiteinrichtungen im Außenbereich wie Reitställe oder Schützenhallen, z.T. leerstehende Tagungszentren, der Kühlturm vom Kraftwerk Mühlheim-Klärlich, Großbauten wie eine Wellness-Klinik auf der Hochebene bei Koblenz oder als Seniorenresidenzen deklarierte Hochhäuser. Wie kann man da gegensteuern?
Das Mittelrheintal ist von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Das war letztlich ein Hilferuf. Das Mittelrheintal ist nun mal charakterisiert durch seine dicht im Talgrund zusammengedrängte Bebauung. Geographisch gibt es nur wenige Vergleichsbeispiele, z.B. das Rhonetal südlich von Lyon oder noch ähnlicher die Achse Innsbruck Brennerpaß und Eisack-Etschtal. Die Einrichtung des Rheinsteiges war eine strukturpolitische Maßnahme, daher der hohe öffentliche Aufwand. Der Weg und seine Popularisierung sollen dem Mittelrheingebiet Entwicklungsimpulse geben, vordergründig ein neues Image erzeugen und neue Besuchergruppen zuführen. Deshalb bei allem Lob trotzdem meine neugierigen Fragen: Wie lange wird der jetzt beobachtete Aufschwung beim Gaststättengewerbe andauern und auch darüber hinaus durch das Medienspektakel zu Änderungen im allgemeinen Bewußtsein führen? Kann beim Mittelrhein das Klischee von Wein, Weib, Gesang überwunden oder erweitert werden? Wie nachhaltig war der regionale Erneuerungsimpuls im Sauerland durch den Rothaarsteig?
Fotos: Bettina Heidemann