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Zuletzt aktualisiert am: 23.02.16
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W a n d e r b e r i c h t e - E u r o p a
Inhaltsverzeichnis: • Auf Jakobs Pfaden - Von Stuttgart nach Santiago de Compostela Von Sylvia Broeckmann
• Zu Fuß von Fulda nach Santiago de Compostela Von Ingrid Chiari
• "Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser Von Dr. Renate Buchenauer
Auf Jakobs Pfaden - Von Stuttgart nach Santiago de Compostela
von Sylvia Broeckmann
Eigentlich
ein verrücktes Unterfangen: sich mitten im Berufsleben sechs Monate frei zu
nehmen, um von der Haustür aus nach Santiago de Compostela zu pilgern. Manche
Freunde haben meinen Mann Horst-Alfred und
Am 21.3.2002 schlossen wir unsere Haustüre in Stuttgart ab und liefen los. Am 19.7. erreichten wir die Kathedrale in Santiago de Compostela. Dazwischen lagen unendlich viele Erfahrungen, die mich bereichert haben.
In der Vorbereitung stellte sich die Frage, ob wir den historischen Jakobsweg von Stuttgart über Konstanz, Einsiedeln und Genf nach Le Puy en Velay nehmen oder lieber durch die Burgundische Pforte, am Rhein-Rhone-Kanal und am Doubs entlang, auf selbstgewählten Pfaden gehen. Zwei Gründe ließen uns die zweite Möglichkeit wählen: zum einen schreckte uns der Winter in der Schweiz; zum anderen wollte Horst-Alfred gern nach Cluny und ich nach Taizé. Also besorgten wir uns rechtzeitig alle Wanderkarten, die wir bis Le Puy en Velay brauchen würden. (Es gibt eine Markierung von Cluny nach Le Puy, die uns aber recht unzuverlässig erschien.) Zu Hause habe ich dann per Textmarker in die ausgebreiteten Karten einen Wandervorschlag eingemalt, an den wir uns teilweise gehalten haben, zum Teil haben wir ihn vor Ort aber auch abgeändert. Wichtig war mir eine gute Mischung aus schönem Weg und möglichst direkter Linie. Ich finde, daß das ganz gut gelungen ist.
Die
französischen 25.000er Karten haben sich als sehr verläßlich erwiesen. Einzig
im Bereich Mulhouse - Besançon ergaben sich Schwierigkeiten, weil nur 50.000er
Karten zu bekommen waren, die offensichtlich einfach von 100.000ern hochkopiert
und dementsprechend grob in der Wiedergabe sind. Aber mit einiger
Wandererfahrung ließ sich dieses Problem kompensieren. Ab Le Puy gibt es gute
Topo-Guides für den GR 65,
Für den spanischen Jakobsweg stehen ja inzwischen reichlich Wanderführer zur Verfügung, die man für das Laufen selber eigentlich alle nicht braucht, weil man sich viel Mühe geben müßte, um sich trotz der exzellenten Kennzeichnung zu verlaufen. Hilfreich sind statt dessen Führer, die auf Sehenswürdigkeiten hinweisen sowie jährlich aktualisierte Faltblätter über Unterkünfte, Restaurants und Läden unterwegs.
Unsere Unterkünfte haben wir nur ab und zu vorgebucht. Meist suchten wir uns einfach irgendwann ein Bett. Dabei gab es alles von der Absteige bis zum 5-Sterne-Hotel (ja, auch das!). Zweimal wurden wir von Menschen zu sich nach Hause eingeladen, als es keine andere Übernachtungsmöglichkeit gab. Diese Gastfreundschaft erlebten wir immer wieder: Kaffee und Kuchen, die uns unterwegs angeboten wurden, ein Obsthändler, der uns unbedingt ein Kilo Obst schenken wollte, Menschen, mit denen wir ohne weiteres in sehr persönliche Gespräche kamen. Die Muschel auf unseren Rucksäcken öffnete viele Türen. Im Freien mußten wir nie übernachten. Dabei hätte mich vor allem die fehlende Dusche geschreckt...
Auf dem GR 65 in Frankreich waren viele Menschen unterwegs. Dort sahen wir uns gelegentlich gezwungen, Zimmer telefonisch am Vortag zu reservieren. Dabei half ein Buch, das wir uns zwar geweigert hatten zu kaufen, das wir dann aber unterwegs ein paar mal einsehen konnten und mußten: „Miam miam, Dodo“. Der Titel ist sprechend: in dem jährlich aktualisierten Bändchen werden alle Unterkünfte, Restaurants und Läden am GR 65 aufgeführt. Es stellt tatsächlich eine große Hilfe dar.
In Spanien haben wir immer „vor Ort“ geschaut, wo wir übernachten wollten. Wir hatten nie Schwierigkeiten, in Hostals oder Pensionen unterzukommen. Die Herbergen waren allerdings insbesondere ab Juli sehr voll, so daß wir sie gemieden haben, wo es irgend ging.
Viele
Kilometer sind wir pro Tag nicht gelaufen. Unser durchschnittliches Pensum lag
zunächst bei 20, später bei
Unterwegs lernten wir die unterschiedlichsten Menschen kennen: bis Le Puy waren es nur vier Pilger, die uns begegneten. Bis dorthin sprachen wir vor allem mit Menschen, die am Weg wohnten. Viele berührten uns und ließen sich berühren von diesem seltsamen Paar, das von Stuttgart nach Santiago unterwegs war. Ab Le Puy waren mehr und mehr Wanderer und Pilger unsere Gesprächspartner. Und in Spanien trat dann die spirituelle Dimension dieses etwa 1000 Jahre alten Weges ganz in den Mittelpunkt.
Die Menschen, die unterwegs sind, pilgern keineswegs alle aus christlichen Überzeugungen. Wir trafen Katholiken und Protestanten, Anglikaner und Methodisten, Agnostiker, Atheisten und Esoteriker, Buddhisten und solche, die sich als „gar nichts“ vorstellten. Aber allen gemeinsam war die Suche nach einer spirituellen Dimension in ihrem Leben, die Suche nach etwas Größerem. Über diese Aspekte menschlichen Seins zu sprechen, ist in unserer westlichen Gesellschaft ja recht ungewöhnlich. Selbst von besten Freunden wissen wir oft nicht, wie ihre persönlichen Ansichten in existentiellen Fragen sind. Auf dem Jakobsweg aber stehen diese Fragen im Mittelpunkt. Die Gespräche regen an, öffnen neue Perspektiven und helfen, eigene Standpunkte zu klären - und sei es in der Erkenntnis: „Da bin ich anders.“
Einige wandern auch aus sportlichen oder kulturellen Gründen auf dem Jakobsweg. Schließlich findet man hier auf eine sehr gute Infrastruktur. Auch diese Wanderer werden, wenn sie sich nicht wehren, vom Geist des Weges angesteckt und entdecken mehr, als sie eigentlich erwartet hatten.
Neben
den geistigen Fragen kam für uns der Genuß nicht zu kurz. Asketische
Enthaltsamkeit war nicht unser
Der ganze Weg war für mich eine Übung darin, im Hier & Jetzt zu bleiben - nicht im Gestern verharren oder ins Morgen oder gar Übermorgen vorpreschen, sondern sehen, was jetzt gerade ist. Das hieß z.B.: nicht ständig daran zu denken, wo wir heute abend übernachten werden, wie der Weg morgen verlaufen wird und wie es in Santiago sein wird. Für andere war das Gegenteil wichtig: sich nicht in aktuellen Details verlieren, noch dies, das und jenes „mitnehmen“, sondern das große Ziel im Auge zu behalten. So lehrt der Weg die unterschiedlichsten Dinge auf ganz einfache Weise.
Die Ankunft in Santiago de Compostela war überaus bewegend. Wir hatten unterwegs den guten Rat erhalten, kurz vor Santiago die letzte Übernachtung einzulegen und möglichst früh am Morgen anzukommen. Das beherzigten wir und trafen um 9 Uhr an der Kathedrale ein. Ein überwältigender Moment! Die innere Bewegung wird aufgefangen und geleitet durch klare Rituale. Sie helfen, in dem Moment, wenn man vor Gefühlsüberschwang gar nicht weiß wohin, geerdet zu bleiben.
Zuerst holten wir unsere Compostelana, die Urkunde, daß wir angekommen sind, im Pilgerbüro ab. Wir erhielten wertvolle Tips zu allem, was von Belang war. Danach ging es in die Kathedrale zur Jakobssäule. Die Stelle, an der Pilger seit Hunderten von Jahren ihre Hand legen, ist tief in den Stein eingemuldet. Danach kletterten wir hinter dem Hauptaltar zur Jakobsbüste, die umarmt wird. Vom Hauptschiff der Kirche sieht man immer wieder Arme, die sich um die Büste legen. Auch das eigentliche Jakobsgrab unter dem Altar besuchten wir natürlich.
Jeden
Mittag um 12 Uhr ist Pilgermesse. Die Kathedrale ist dann bis auf den letzten
Platz besetzt, manche müssen stehen. Dort trafen wir viele wieder, die wir auf
unserem Weg kennen gelernt hatten. Manche wähnten wir weit voraus oder zurück
und waren so überrascht wie sie, sie nach Tagen, teilweise nach Wochen wieder
zu
Die Erfahrungen dieser vier Monate begleiten mich in meinem Alltag und haben mir sehr neue Perspektiven auf das Leben gegeben. Dafür bin ich dankbar.
Wenn jemand Informationen irgendwelcher Art haben möchte, bin ich gern ansprechbar.
Sylvia Broeckmann Kornbergstr. 39 70176 Stuttgart Tel. 0711-2268444
Erschienen in "Mitteilungsblatt" Zeitschrift des Vereins Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 11 - August 2003
Zu Fuß von Fulda nach Santiago de Compostela
4. Februar - 20. Juni 2005
Von Ingrid Chiari
Vorbemerkungen
14 Tage nach der Pensionierung meines Mannes starteten wir zu zweit zu unserer Pilgerfahrt, obwohl in der Rhön noch tiefster Winter herrschte, um uns einen lang gehegten Traum zu erfüllen. Einfach weg vom Fenster sein, nicht erreicht werden können, zu fremden Ufern aufbrechen, neue Erfahrungen machen, innere Kraft tanken, lebendiger werden - das wollten wir. Zudem erfüllte uns große Dankbarkeit für ein bisher in der großen Linie gut verlaufenes Leben, für Kinder und Kindeskinder. Die operative Tätigkeit meines Mannes war ohne gravierende Zwischenfälle glücklich zu Ende gegangen. Dies alles war für uns Grund genug, eine Wallfahrt zum Grab des Apostels Jakobus nach Santiago de Compostela in Spanien zu unternehmen. Begeistert hatten wir die Routen und ihre verfügbaren Quartiere erforscht, Bücher über Kunst am Weg gelesen, einige Teilstrecken in den vergangenen Jahren allein oder mit Freunden erkundet.
Ganz wichtig waren für uns im spartanisch knapp gepackten Rucksack neben Schreibblock und Kugelschreiber zur Führung eines Reisetagebuches die vier Outdoor-Wanderführer für die Länder, die wir durchwandern wollten. Sie gaben uns durch Streckenbeschreibungen mit Kilometerangaben, Quartierhinweisen und die Beschreibung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten eine gewisse Sicherheit. Karten nahmen wir wegen der erforderlichen Anzahl nicht mit. Die Etappen hatten wir schon in Fulda zurechtgelegt. Ihre Länge bewegte sich zwischen knapp 20 und 40 Kilometern, je nach Übernachtungsmöglichkeit. Unsere Durchschnittsetappe betrug 27 Kilometer. Wir hatten uns vorgenommen, die wegen ihrer Hitze bei mangelndem Schatten berüchtigte Meseta Hochebene zwischen Burgos und León vor Juni durchquert zu haben. Wir machten insgesamt 12 Rasttage, teils um uns zu rekreieren, teils, um an für uns besonderen Orten verweilen zu können.
Wir wählten in erster Linie kleine Gasthöfe oder Pensionen, in der Schweiz und in Frankreich oft so genannte Chambres d’hôtes als Übernachtungsmöglichkeiten. Von den sehr preisgünstigen Pilgerunterkünften in Frankreich und Spanien machten wir nur deshalb Gebrauch, weil wir nach einem meist anstrengenden Pilgertag gern unsere Privatsphäre haben wollten. Ins Gespräch kamen wir unterwegs trotzdem mit vielen Pilgerkameraden aus aller Herren Länder. Enge Beziehungen ergaben sich, die bis heute per E-Mail fortbestehen. Viele Mitpilger dachten wie wir, gönnten sich ein eigenes Zimmer, um nicht um Plätze in überfüllten Herbergen kämpfen zu müssen und der Wettlaufsituation zu entgehen, wie sie vor allem auf dem spanischen Camino francés besteht. Darüber hinaus sollte jemand, der sich ein Zimmer leisten kann, dies zugunsten von mittellosen Jugendlichen oder Junggebliebenen tun.
Freundliches Deutschland
Die Tage in Deutschland sind uns vor allem in Erinnerung, weil wir viel Freundlichkeit erlebt haben. Menschen sprachen uns an, die uns in ihre Häuser holten, uns ihre Lebensgeschichten erzählten und uns warme Getränke und mehr anboten. Sie baten uns, für sie zu beten. In Crailsheim fragte mich ein junges Mädchen, was wir denn jetzt im Winter, mit Rucksack und Stöcken unterwegs, für einen Sport betrieben. „Wir gehen zu Fuß bis Spanien“ sagte ich. „Megageil“, meinte die etwa Fünfzehnjährige. Die vielen Menschen, die uns über unseren Weg und unsere Motivation ausfragten und uns alles Gute wünschten, kann ich gar nicht aufzählen. Wir sind ihnen unendlich dankbar. Sie haben uns Kraft zum Weitergehen gegeben. Uns wurde aber auch bewusst, welch schwere Schicksale andere Menschen zu tragen haben. Das oft recht lange Zuhören war für uns keine verlorene Zeit, sondern ein Geschenk der Wallfahrt, das uns zum Nachdenken brachte.
Am Weg gab es natürlich Kulturdenkmäler in Hülle und Fülle zu betrachten. Kirchen und Kirchlein, Wegkreuze, gastliche Klöster, in denen wir einkehrten und übernachten durften durch Vermittlung eines Franziskanischen Freundes, der vier Tage mit uns beinahe bis zur Schweizer Grenze ging. Vorher begleitete uns zwei Tage lang ein Ehepaar, mit dem wir schon oft gewandert waren. Mit den Beiden erkundeten wir die wunderbaren Malereien und Glasfenster des Malerpriesters Sieger Köder in Rosenberg, Hohenberg und Hütten.
Grandiose Natur in der Schweiz
Kommunikatives Frankreich
Langsam gingen wir in den Frühling hinein. Es gab nur noch vereinzelte Schneereste. Wir fühlten uns leicht und optimistisch wie Zugvögel. Die französische Küche machte uns Freude, ein Gläschen Wein abends belebte. Auch jetzt hatten wir oft einige Hundert Höhenmeter pro Tag zu bewältigen. Wunderschöne Bergpfade mit Blick auf die Rhôneschleifen ließen unsere Herzen höher schlagen und machten uns dankbar für jeden neuen Tag.
In Le Puy mit seiner hochberühmten Kathedrale, der täglichen Pilgersegnung und der schlagartig großen Zahl von Pilgern hatten wir etwa die Hälfte unseres Weges zurückgelegt. Eine bildhübsche, junge Ordensschwester im Andenkenshop der Kathedrale fragte nach unseren Namen. Nur so könnte sie für uns persönlich beten. Wir sollten uns auf den Weiterweg freuen. Im Aubrac-Hochland würden Himmel und Erde einander berühren.
In der Herberge in Conques betreuten uns und etwa 50 Mitpilger sehr freundliche Prämonstratenser Mönche, die mit uns sangen, für uns in der abendlich erleuchteten herrlichen Abtei ein Orgelkonzert veranstalteten, uns den Pilgersegen erteilten und uns mit einem Johannesevangelium, für uns in deutscher Sprache, entließen. Hier entstand eine große Pilgergemeinschaft, wir fühlten uns alle untereinander verbunden und solidarisch. Einer half dem anderen, es gab keine Jungen oder Alten, keine Schnellen oder Langsamen, keine Armen oder Reichen. Wir waren alle Menschen, die versuchten, im mehr oder weniger einsamen Gehen etwas mehr Licht in unser Leben und in das, „was die Welt zusammenhält“ zu bringen.
Über Bergwiesen, die voll von unterschiedlichen blühenden Orchideen, Schachblumen, Enzian und anderen Frühjahrsblühern waren, erreichten wir voll Dankbarkeit das erste spanische Quartier. Schon der übernächste Tag sollte ein weiteres Highlight für uns bereithalten. Wir wählten von Jaca aus eine Wegvariante. Dieser Weg war zwar schlecht markiert und anstrengend, ja stellenweise sogar recht alpin, aber wir wurden durch traumhafte Ausblicke, Geierschwärme und schließlich das atemberaubend pittoreske Felskloster San Juan de la Peña, dessen romanische Kapitelle mit zum Besten gehören, was aus dieser Epoche erhalten ist, reichlich belohnt. Nach dem Abstieg zu unserem Übernachtungsort Santa Cruz waren wir rechtschaffen müde und das blieb auch die nächsten Tage so, waren doch die Etappen, die wir uns vornahmen, durchwegs über 30 Kilometer. Ich kann die Wunder des Weges nicht aufzählen, nicht die tiefen Gespräche mit Mitpilgern.
Von León gingen Reinhard und ich den einsamen, aber traumhaft schönen Pilgerweg nach Norden über den Pajarespass nach Oviedo, der Hauptstadt Asturiens. Die Bergetappe vor dem Pajarespass ist durchaus ernst zu nehmen. Durch schlechte Markierung im Morgennebel verirrt, waren wir überaus dankbar, doch noch mit etwa zwei Stunden Verzögerung den Pass zu erreichen. Leider hatte das angepeilte Quartier geschlossen. So mussten wir 20 weitere Kilometer bis Campomanes bergab wandern, obwohl die Bergetappe vorher schon einiges gefordert hatte. An diesem schwierigen Tag waren 38 Kilometer zu gehen. Ich war selten in meinem Leben so an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit!
Fotos: Ingrid und Dr. Reinhard Chiari
Erschienen in Wege und Ziele" - Zeitschrift des Vereins Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 20 - August 2006
„Auf den Spuren der
Hugenotten und Waldenser“
Von Dr. Renate Buchenauer
Der europäische
Kulturfernwanderweg „Hugenotten- und Waldenserpfad“ weckt das Interesse an
Geschichte wie an Gegenwartsfragen und
die Freude am Wandern und auf Kontakte mit anderen Menschen.
Hugenotten und Waldenser – der historische Hintergrund
Hintergrund des
Kulturfernwanderwegs Hugenotten- und Waldenserpfad ist die Geschichte der
Hugenotten und Waldenser, die seit Ende des 17. Jahrhunderts ihre Heimat in
Frankreich und im heutigen Italien verließen, weil sie dort aufgrund ihres
protestantischen Glaubens verfolgt wurden.
„Hugenotten“
ist die Bezeichnung für die französischen Protestanten, Mitglieder der 1559
gegründete Reformierten Kirche. Ihr Glaube wurde stark von den Lehren Johannes
Calvins beeinflusst. Die Hugenotten wurden
als religiöse Minderheit
in Frankreich im 16. Jahrhundert zuerst verfolgt und dann seit 1598 (Edikt von
Nantes) geduldet.
König Ludwig XIV. hob 1685 dieses Edikt wieder auf, die
darauf einsetzenden Verfolgungen lösten eine Fluchtwelle von etwa einer
Viertelmillion Hugenotten in die umliegenden protestantischen Länder aus. Viele der
Flüchtenden zogen zuerst in die Schweiz und dann weiter über Schaffhausen und
Basel vor allem auf dem Rhein, aber auch über Land in Richtung Frankfurt am
Main, einer wichtigen Drehscheibe der Flüchtlingsströme. Von dort aus erfolgte
die Weiterreise in verschiedene deutsche Fürstentümer, in der Mehrzahl nach
Brandenburg-Preußen und Hessen-Kassel. Die deutschen Fürsten privilegierten die
Vertriebenen mit Steuer- und Zunftfreiheit, selbständigen
französisch-reformierten Kirchengemeinden und eigener Rechtspflege.
Die Themen Exil,
Migration und Integration begleiten das gemeinsame kultur- und
wandertouristische Projekt „Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser“. Weil
diese Themen gleichzeitig bedeutende Zukunftsfragen für Europa beinhalten, regt
der Kulturfernwanderweg zur Beschäftigung mit entsprechenden Fragestellungen an
und soll zu einer positiven Weiterentwicklung unseres Europa-Bewusstseins
beitragen.
Projektrahmen und Partner
Das Kooperationsprojekt „Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser“ ist
aus einer 1998 gebildeten Partnerschaft von hessischen und französischen
ländlichen Regionen im Rahmen einer EU-Strukturförderung für ländliche Räume
hervorgegangen.
Heute tragen die folgenden Einrichtungen aus vier Staaten dieses gemeinsame
Vorhaben:
Der deutsche Trägerverein
„Hugenotten- und Waldenserpfad“ e.V.
die schweizerische Stiftung VIA
mit Sitz in Bern,
das Waldensische Kulturzentrum in
Torre Pellice in Italien und
der französische Trägerverein
„Sur les pas des huguenots“ mit Sitz in Die.
Diese Einrichtungen haben sich verpflichtet, gemeinsam zur Verwirklichung,
Pflege und lebendigen Gestaltung des Kulturfernwanderwegs beizutragen: mit einer
gemeinsamen Werte- und Qualitätscharta, einem Corporate Design, mehrsprachigen
Informationsblättern und einer internationalen Internet-Präsentation. Darüber
hinaus werden verschiedene Veranstaltungen gemeinsam durchgeführt.
Der
Kulturfernwanderweg greift nicht nur viele Facetten unseres europäischen
Kulturerbes in Wirtschaft, Gesellschaft, Kirche und Kultur auf. Er bietet
darüber hinaus auch Chancen für den Wandertourismus und die touristische
Entwicklung der Städte und Gemeinden an seinem Verlauf und die Chance, das
gemeinsame kulturgeschichtliche Erbe für eine zukunftsfähige Entwicklung zu
nutzen. Die Hauptziele des
Projektes sind:
Die Bewusstmachung und Vermittlung des kulturellen Erbes der Hugenotten und Waldenser zur Förderung der regionalen Identität und Stärkung der touristischen Attraktivität,
die Schaffung
eines internationalen Kulturfernwanderwegs zur Stärkung der regionalen
Wertschöpfung,
die Einbindung neuer
Projektpartner zur Ausweitung der Kooperationsmöglichkeiten,
die
Inwertsetzung des gemeinsamen Kulturerbes durch die Anerkennung als
«Europäischer Kulturweg» durch den Europarat.
Weise entdeckt werden
kann.
Die Route des Kulturfernwanderweges
Der
Verlauf des neuen Weitwanderwegs richtet sich nach den tatsächlichen
historischen Flucht- und Wanderwegen.
Der Charakter des historischen
Weges ändert sich allerdings im europäischen Maßstab: Während sich die
hugenottischen Flüchtlinge im französischsprachigen Gebiet teilweise heimlich
fortbewegen mussten, wurden in der Schweiz und den deutschen Territorien
öffentliche Wege und allgemein verfügbare Transportarten genutzt. Viele der
Flüchtigen kamen zu Fuß, etliche fanden erst nach verschiedenen Stationen eine
endgültige neue Heimat. Aus der Flucht wurde Schritt für Schritt und oft über
Jahre dauernd ein wirkliches Ankommen.
Die deutsche Strecke des europäischen Kulturfernwanderwegs „Hugenotten- und
Waldenserpfad“ ist inzwischen offiziell eingeweiht. Ohne die zahlreichen
Rundwege, die zu sehenswerten Kulturerbestätten abseits der Hauptroute führen,
können Wanderer nun auf 1.000 km dem Markierungszeichen zwischen Bad Karlshafen
und Schaffhausen folgen.
In Frankreich und Italien sind ebenfalls bereits größere Strecken markiert,
Kartenmaterial und Routenführer vermitteln interessantes Begleitwissen. Für die
Schweiz ist mit einer Markierung 2013 zu rechnen.
Der Trägerverein wird weiterhin die Aktivitäten seiner Mitglieder entlang
des Weges unterstützen und die Auszeichnung von Waldenser-Gaststätten und
–Herbergen mit besonderen Angeboten und Ambiente fördern. Gezielte
Veröffentlichungen in der Fachpresse sowie die Herausgabe von thematischen
regionalen Routenführern mit wander-tauglichem Maßstab und eines Wanderpasses
stärken das wandertouristische Interesse.
Praktische Hinweise
Informationen über das internationale Vorhaben sind im Internet unter
www.surlespasdeshugenots.eu
zu finden. Der deutsche
Trägerverein präsentiert sich unter
www.hugenotten-waldenserpfad.eu.
Über die Adresse
info@hugenotten-waldenserpfad.eu
kann man Anfragen zur Wegführung,
Kartenherausgabe und zu den Vereinsaktivitäten stellen, sowie
Informationsmaterial erhalten.
Fotos: Dr. Renate Buchenauer Erschienen in Wege und Ziele" - Zeitschrift des Vereins Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 38 - August 2012
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